Und dann nahm Thomas Pundy doch noch das Fernglas aus seinem Rucksack …

Aber das war nur noch für's Foto. Denn dass man an einem – dem allerersten – Schneeflockenmorgen nicht nur keine Sterne, sondern auch keine Kometenschweife oder (beim Eintritt in die Atmosphäre hoffentlich verglühende) Meteoriten sehen würde, war dem Vielläufer natürlich klar.

Doch wenn Jean-Marie Welbes in der Einladung zum alldonnerstäglichen Morgenlauf in Schönbrunn ein Motto ausgibt, ist es Ehrensache, dieser Vorgabe zumindest ansatzweise zu entsprechen. Und vergangenen Donnerstag hatte Welbes eben "Meteoritenschauer" als Thema des vermutlich traditionsreichsten, sicher aber kreativsten wöchentlichen Wiener (Gratis-)Lauftreffs ausgegeben.

Foto: Tom Rottenberg

Die Chancen, derlei an einem frühen Dezembermorgen von der zu dieser Zeit noch unbeleuchteten Gloriette aus zu sehen, standen ja an sich nicht schlecht: "Die Dezember-Monocerotiden aus dem Sternbild Einhorn (sic!) (Monoceros) und die Sigma-Hydriden aus dem Sternbild Wasserschlange (Hydra) werden uns besuchen. Da es kaum Mondlicht geben wird, sind die Beobachtungsmöglichkeiten sehr gut. Ein Blackout wäre natürlich noch hilfreicher", hatte der Architekt in seine Laufgruppe bei Facebook geschrieben: "Zusätzlich wird auch der Komet Leonhard vorbeiziehen! Es gibt also viel zu sehen."

Dass es just in dieser Nacht dann aber schneien – also RICHTIG schneien – würde, war da noch nicht vorhersehbar gewesen.

Aber so wirklich störend war das auch nicht. Im Gegenteil. Ganz im Gegenteil.

Foto: Jean-Marie Welbes

Vielleicht sollte ich aber zunächst kurz erklären, was da jeden Donnerstag um Punkt 6.30 Uhr passiert: Wenn sich die Tore des Parks da öffnen, scharren in der Regel immer schon ein paar Läuferinnen und Läufer davor mit den Hufen. Jeden Tag. Weil das Morgenlaufen im Park traumhaft schön ist.

Aber der Donnerstag ist besonders. Denn da trifft sich seit mittlerweile sieben oder mehr Jahren der "Frühlauftreff Rollover Schönbrunn" hier. Wer da ist, ist da – und jeder und jede ist willkommen.

Gemeinsam trabt man zum Neptunbrunnen am Fuße des Gloriette-Hügels. Und dann wird eine halbe Stunde lang die Serpentinen rauf- und wieder runtergelaufen. Im jeweils eigenen Tempo: "Hügeling" eben.

Foto: Tom Rottenberg

Bergauf – also Hügellaufen – ist zaaach, aber wichtig. Es aktiviert Muskelstränge, die beim Gerenne in der Ebene oft zu kurz kommen. Außerdem lehrt der Berg – jeder – Kräftemanagement. Und auch Demut.

Darüber hinaus ist es immer fein, Landschaft und Gegend von oben zu sehen.

Der Haken: Auch den schönsten Ausblick vom allerschönsten Haushügel hat man halt irgendwann gesehen. Sogar den Weltkulturerbe-Touristenbegeisterungsblick "Schönbrunn von oben".

Sich da jeden Donnerstag in der Früh mehrfach die Kante zu geben wird irgendwann redundant. Gruppe hilft. Und Motto auch.

Heute also: "Meteorschauer".

Foto: Jean-Marie Welbes

Dass der Schnee das Thema dann zudeckte, war aber genau gar kein Problem – sondern ein Geschenk, das man sich nicht schöner wünschen kann: Ist Schönbrunn – der Schlosspark – schon an sich ein schönes und auch abwechslungsreiches Laufrevier, um das "uns" der Rest der Welt zu Recht beneidet, ist der Park in der Früh gleich doppelt grandios.

Bis auf ein paar (meist asiatische) Touristen und eine Handvoll Frühspaziergängerinnen ist hier, wenn die Tore aufgehen, sogar in der Hochsaison, im Sommer, Dornröschenschlaf angesagt.

Und im Winter braucht es dann weder Pandemie noch geschlossenen Hotels, um um 6.30 Uhr das Gefühl zu haben, in einem Zaubergarten zu stehen.

Foto: Tom Rottenberg

Dieses Setting mit vorweihnachtlicher Wattebausch-Flockenromantik garniert vorgesetzt zu bekommen, ist das i-Tüpfelchen auf dem i-Tüpfelchen: das schwache Licht, das vom Schnee gestreut wird. Die akribisch gestutzten Barock-Baumreihen in Weiß, die Weite der leeren Wege, die Stille.

Und bevor ich mich jetzt zu "das Knirschen der Schritte im Schnee" und noch schlimmeren Plattitüden hinreißen lasse, kommt nur noch eines:

Diese Momente, diese Stimmungen, diese Bilder kann man nicht kaufen. Gerade das macht sie so wertvoll.

Foto: Tom Rottenberg

Um dem Drang zum verklärten Besingen von Idylle und Kitsch besser zu widerstehen, kommt jetzt was Nüchtern-Trockenes: Auch in puncto Lauftechnik ist Schneelaufen eine echte Empfehlung.

Sogar auf Asphalt ist die – noch nicht bockhart-eisig getrampelte – Schneeschicht ein "gesunder" kleiner Dämpfer. Auf jeder anderen Unterlage natürlich auch.

Das kleine, oft gar nicht spürbare Rutschen beim Auftreten und beim Abdruck (also beim explosiven Vorwärtsschub) schult die Achtsamkeit, aber auch die Präzision beim Setzen der Schritte.

Und dass man aufmerksamer und alerter läuft, wenn man damit rechnen muss, dass der Boden eventuell nicht hält, ist genauso wenig ein Schaden wie der Umstand, dass man beim Vorsichtiglaufen in der Regel einen Tick langsamer ist: Laufen im Schnee ist anstrengender, aber die Gefahr, sich "abzuschießen", ist gerade bei weniger Geübten meist weniger groß.

Foto: Tom Rottenberg

Natürlich kommt dann die Frage nach der Ausrüstung. Und wie immer gibt es keine allgemeingültige Patentantwort: Ich selbst laufe im Winter am liebsten mit "unfolierten" Schuhen. Also ohne Gore- oder ähnliche Membran. Weil trockener Schnee, solange man in Bewegung ist, eh wieder abfällt. Nässe kommt meist von oben – über Knöchel und Socken. Nur macht das nichts: Bewegung hält den Fuß warm.

Dennoch trug ich diesmal "Folie". Den "Ride" aus Sauconys "Shield"-Reihe, also einen ausgewiesenen Nässeschutz-Schlechtwetterschuh. Der hielt beim Stehen und Blödeln warm und trocken. Dass die "Ride"-Sohle eher griffigen Untergrund als losen Schnee am Hügel mag, störte mich nicht: Umso präziser musste ich die Schritte setzen. Das ist (für trittsichere, geübte!) LäuferInnen – siehe oben – kein Fehler, sondern eine Trainingsaufgabe.

Aber im "echten" Wald oder bei einem längeren Sololauf hätte ich vermutlich doch zum Trailschuh gegriffen. Ohne Membran.

Foto: Jean-Marie Welbes

Sonst gilt bei diesem Wetter das, was im Winter immer gilt: Halten Sie Nässe und Wind von draußen fern, tragen Sie also eine "funktionale" Außenhaut, die schützt und Feuchtigkeit wegtransportiert. Drunter ein (bei Bedarf eventuell ein zweites, dann aber dünnes) wärmendes "Layer", das ihren Schweiß abtransportiert und nicht speichert.

Bedenken Sie, dass sie (ja auch mit Frisur) fast 70 Prozent Ihrer Körperwärme über den Kopf abgeben: Mütze, Halstuch und Handschuhe sind Pflicht – Sie können das Zeug ja ausziehen und einstecken. Aber nicht herbeierfinden, wenn es zu Hause liegt.

Als Faustregel gilt: Wenn Sie beim Loslaufen leicht (!) frieren, ist es dann, wenn Sie warmgelaufen sind, ziemlich sicher okay.

Und: Seien Sie sichtbar! Ja, auch wenn Sie nur zweimal über die Straße müssen oder glauben, dass es "doch eh nimmer wirklich dunkel" ist. Das glaubt der Autofahrer, der Sie trotzdem übersieht, nämlich auch.

Foto: Jean-Marie Welbes

Aber klar: Im Schlosspark ist Sichtbarkeit kein (Sicherheits-)Thema.

Trotzdem spielten an diesem Donnerstagmorgen das Licht und das Sehen ganz zentrale Rollen.

Es ist ja kein Zufall, dass Jean-Marie Welbes just in der dunkelsten Zeit des Jahres auf das Thema Meteoritenschauer kam. Schließlich ist es auch kein Zufall, dass Weihnachten, Channuka und Co Lichterfeste sind. Lichterfeste, die just dann die Dosis an Helligkeit kontinuierlich steigern, wenn es immer dunkler wird.

Und dass die angeblich Weisen aus dem Morgenland einem Stern folgten, passt auch. Sowohl zur menschlichen Ursehnsucht nach Wärme und Licht als auch zum immer gleichen Lauf von Kometen und Meteoritenschwärmen.

Foto: Tom Rottenberg

Einer der Donnerstag-Stamm-Morgenläufer hatte das angeblich schon wie eine On-the-go-Kurzvorlesung vorbereitet. Doch dann kam dem studierten Astronomen in letzter Sekunde ein Speditionsproblem mit seiner eigenen Übersiedlung dazwischen.

Schade. Aber daran, dass wir dennoch ein Licht am Himmel fanden, dem wir bereitwillig folgten, änderte das nichts.

Und dass dieses Wunder, der Stern von Schönbrunn-Lehem, sich genau auf den Serpentinen und nur uns offenbarte, verstanden wir als Zeichen kosmischer oder sonniger Mächte: Wir waren auserwählt!

Foto: Tom Rottenberg

Dass das Blödsinn ist, ist eh klar.

Aber: Na und?

Der "Himmelskörper" war ein leuchtendes Frisbee, den Jean Marie Welbes aus seinem Rucksack gezaubert hatte. Das Ding wäre, am Ende der Hügelsession gibt es immer ein Gruppenbild vor der Gloriette, dann aber um ein Haar im Teich dort oben gelandet: Wir sind allem Anschein nach als LäuferInnen doch deutlich besser als mit Bällen oder Wurfscheiben.

Was den Spaß an der Sache aber nicht minderte.

Eher im Gegenteil.

Foto: Tom Rottenberg

Nach der halbstündigen "Hügelei" trabt der "Frühlauftreff" dann in der Regel noch ein bisserl aus. Ein Runde, manchmal zwei durch Schönbrunn.

Ein Pflichtabstecher führt da immer zum Zwerg-Känguru-Sichtfenster an der Zoo-Außenmauer.

Die Bisons sind zwar auch nett – aber Kängurus eben Kängurus.

Außerdem stehen die Rindsviecher nur herum, während die Kängurus meist bestätigen, dass wir eben doch nicht die Einzigen sind, die hier in aller Herrgottsfrüh schon herumhüpfen.

Foto: Tom Rottenberg

Und dann geht es raus und nach Hause: duschen, frühstücken – und hinein in die echte Welt.

Die spürt man um halb acht Uhr morgens aber auch schon innerhalb des Parks: Die großen, breiten Wege sind da zum Teil schon geräumt.

Verständlich – aber dennoch ein schlechtes Zeichen: Draußen, vor den Mauern Schönbrunns, ist von der Schönheit des ersten Schnees, vom Zauber des Winters nämlich bereits jetzt kaum mehr etwas übrig.

Da steht Stadtwinter nur für nasskalt. Für Gatsch und Dreck.

Und für die Sehnsucht nach einem Stern, der mich zurück nach "Winter Wonderland" führt. (Tom Rottenberg, 14.12.2021)

Mehr Bilder vom "Meteorschauer"-Frühlauftreff gibt es auf Jean-Marie Welbes gleichnamigen Album auf Facebook und auch bei Tom Rottenberg.

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Foto: Jean-Marie Welbes