Das Amtsgeheimnis steht in Österreich im Verfassungsrang. Das soll sich ändern, geht es nach der türkis-grünen Koalition – doch die stößt auf Widerstand.

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Wien – Die türkis-grüne Koalition ist sich einig – zumindest in der Frage, wer die geplante Informationsfreiheit blockiert. Dass die Bundesländer das neue Gesetz zumindest in seiner jetzigen Form nicht wollen, war lange ein offenes Geheimnis.

Anfang Dezember erklärte dann auch der grüne Vizekanzler Werner Kogler im STANDARD-Interview: "Beim Informationsfreiheitsgesetz kommen ganz deutliche Widerstände von den Bundesländern und Kommunen." Und nun benannte auch Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) im Gespräch mit der Austria Presse Agentur die Länder als Verhinderer der Reform, mit der das Amtsgeheimnis abgeschafft und ein Recht auf Information eingeführt werden soll. Sie könne sich auf den Kopf stellen, "wenn alle rundherum sagen, sie wollen das Gesetz nicht", sagte Edtstadler.

Ländermacht in Praxis und Theorie

Die türkise Ministerin führte freilich auch eine Reihe anderer Player an, die gegen das Informationsfreiheitsgesetz seien – oder zumindest dagegen, dass es auch für sie gelte: Auch der staatliche ORF und die Austria Presse Agentur (an der der ORF beteiligt ist) wehren sich dagegen, von den Regelungen umfasst zu sein. Vor allem aber der Gemeindebund opponiert gegen den Entwurf: Er führt die Sorge ins Treffen, dass kleine Gemeinden plötzlich mit aufwendigen Anfragen überschwemmt werden.

Effektiv verhindern können diese das Gesetz natürlich nicht – bei den Bundesländern schaut das schon anders aus. Denn das Informationsfreiheitsgesetz würde ihre Kompetenzen beschneiden, deswegen sei nicht nur eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat, sondern auch eine solche im Bundesrat notwendig, wie Edtstadler ins Treffen führt.

Ganz wasserdicht ist diese Argumentation allerdings nicht. Denn die Koalition gilt selbstverständlich auch im Bundesrat, wo meist nach Partei- und nicht nach Landesinteressen abgestimmt wird. Erst im vergangenen Sommer löste das abweichende Abstimmungsverhalten einer Bundesrätin aus Vorarlberg eine kleine Koalitionskrise aus.

Gemeinsame Stellungnahme der Länder

Wenn die Länder die Informationsfreiheit verhindern, tun sie es also aus ihrer faktischen Macht innerhalb der ÖVP heraus. Aber auch die drei SPÖ-geführten Bundesländer werden die Linie ihrer Bundespartei mitbestimmen. Deren Zustimmung ist für eine Zweidrittelmehrheit notwendig, sofern nicht wider Erwarten die Freiheitlichen dafür gewonnen werden können.

Dass rote und schwarze Bundesländer in der Sache an einem Strang ziehen, zeigte sich schon im Begutachtungsprozess. Da gaben alle neun Länder eine gemeinsame Stellungnahme ab. Und auch die Antworten der Länder auf eine Anfrage des STANDARD vor einigen Wochen klingen teils sehr ähnlich.

Freiheit zu weit, Ausnahmen zu eng

Man unterstütze das Anliegen grundsätzlich, es müsse aber das Mitwirkungsrecht der Länder gewahrt bleiben – und es dürfe "zu keinem erhöhten Verwaltungsaufwand für die Länder, die Städte und Gemeinden kommen", heißt es etwa aus dem Büro des steirischen Landeshauptmanns Hermann Schützenhöfer (ÖVP). Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) bemängelt in seiner Stellungnahme: Der Begriff der Informationsfreiheit sei "zu weit" gefasst, die Geheimhaltungsgründe dagegen "zu eng".

Der These, dass das Informationsfreiheitsgesetz einfach noch ein bisschen Zeit braucht, könnte entgegengesetzt werden: Es hatte schon jede Menge davon. Die inhaltlichen Grundlagen der Reform wurden bereits im türkis-grünen Regierungsprogramm von 2020 detailliert vereinbart. Es folgten lange Verhandlungen, auch mit den Bundesländern. Über Monate verzögerte sich die Fertigstellung des Entwurfs, bis er im März 2021 endlich präsentiert werden konnte.

Grüne bereit für "öffentliche Auseinandersetzung"

Und: Der verhandelte Entwurf ist bereits ein Kompromiss zwischen allen relevanten Positionen. Im Begutachtungsprozess wurde kaum ein wesentliches Argument eingebracht, das in den breit angelegten Verhandlungen zuvor nicht schon berücksichtigt worden wäre, sagen Insider.

Politisch sind in der Frage die Grünen am stärksten unter Druck, schließlich ist die Informationsfreiheit eines ihrer wichtigsten Leuchtturmprojekte – und seine Umsetzung ein wichtiges Argument dafür, mit der ÖVP in der Regierung zu bleiben (und unter anderem deren Migrationskurs mitzutragen). Kogler zeigte sich im STANDARD-Interview bereit für einen weiteren Kompromiss ("Es kann ja da oder dort einen tatsächlichen Adjustierungsbedarf geben"), aber auch für eine laute Diskussion ("Notfalls gibt es halt eine öffentliche Auseinandersetzung").

Edtstadler will "dranbleiben"

Auch Edstadler will nicht als Verhindererin des grünen Projekts dastehen und beteuert ihr Engagement dafür: "Wir müssen den Paradigmenwechsel vollziehen, und ich werde da dranbleiben."

Der aktuelle Zustand ist jedenfalls nicht ganz unbekannt: Schon in der Vergangenheit waren Entwürfe für die Abschaffung des Amtsgeheimnisses lange de facto fertig, wurden aber nicht beschlossen. Sie starben dann mit einer vorzeitig beendeten Legislaturperiode. ÖVP und Grüne beteuern jedenfalls, bis zum regulären Ende ihrer Regierungszeit im Jahr 2024 weiterarbeiten zu wollen. (Sebastian Fellner, 28.12.2021)