Peter Pilz holte sie einst zu den Wiener Grünen, politisch aktiv geworden ist Maria Vassilakou, spätere Stadträtin und Vizebürgermeisterin, aber wegen der ausländerfeindlichen Politik Jörg Haiders. Auch sie erfuhr immer wieder rassistische Anfeindungen.

Foto: Robert Newald

In der Serie "Geradegerückt" betrachten wir Geschichten über weibliche Berühmtheiten genauer und fragen, welche Erzählungen sich über diese Frauen durchgesetzt haben – und was daran womöglich falsch ist.

Maria Vassilakou wäre es wahrscheinlich nicht recht, dass auch sie Platz in der "Geradegerückt"-Serie findet. Zwar war ihr während ihrer politischen Karriere – von 2010 bis 2019 war sie Wiener Vizebürgermeisterin und Stadträtin für Verkehr und Stadtplanung – bewusst, dass sie im Boulevard anders als ihre männlichen und auch als viele weibliche Kolleginnen behandelt wurde. Aber Maria Vassilakou entschied sich früh dafür, diese Dinge zu ignorieren – bzw. darüber zu lachen. Zumindest in der Öffentlichkeit.

Mit Messer im Rücken

Dabei war vieles, was über Vassilakou geschrieben wurde, alles andere als zum Lachen. Die Stimmung, die im Boulevard gemacht wurde, schwappte über. Es gab zu der Zeit wohl keine Politikerin, die mit einer derartigen Leidenschaft in Onlineforen gehasst oder beschimpft wurde. Auch in den Anti-Vassilakou-Gruppen auf Facebook war der Tonfall zutiefst gehässig. Hier wurde nicht nur Kritik gepostet und geschimpft, sondern es wurden auch Inhalte, die strafrechtlich relevant sein könnten, geteilt: Vassilakou am Galgen oder mit Messer im Rücken.

Aber Vassilakou will drüberstehen. Im Wahlkampf 2015 lässt sich die gebürtige Griechin als Hexe plakatieren – wohl wissend, dass sie gern als solche beschrieben wird. Ein anderes Beispiel: Als ein besonders unvorteilhaftes Foto von ihr auf dem Cover der "Kronen Zeitung" verwendet wird, veröffentlicht Vassilakous Team ein alternatives Cover mit einer eine Grimasse schneidenden Grünen-Chefin – jeder User, jede Userin konnte ein eigenes Titelbild mit dem eigenen Foto gestalten. Der Titel darüber: "Wer ist eigentlich an allem schuld?"

Private Untergriffe statt inhaltlicher Kritik

Es ist ein Titel, der den Umgang mit Vassilakou wunderbar beschreibt. Denn natürlich hat auch sie in ihrer politischen Laufbahn Fehler gemacht bzw. Entscheidungen getroffen, die man kritisieren kann. Allzu oft blieb eine inhaltliche Auseinandersetzung aber aus – oder wurde mit privaten Untergriffen vermischt. So firmierte die studierte Sprachwissenschafterin im Boulevard gern als "Mary" inklusive des jeweils gerade passend erscheinenden Attributs, zum Beispiel "Chaos-Mary". Für Vassilakou, die stets viel Wert auf die Trennung zwischen der Politikerin und der Privatperson legte, eigentlich ein No-Go. "Ich merke, wie es mich reißt, wenn jemand in einem politischen Kontext Mary zu mir sagt. Das ist, wie wenn jemand die Hand rausstreckt und einen plötzlich anfasst", sagte sie einmal.

Wie sinnbefreit manche Kritik an Vassilakou war, illustrierte der Hashtag #DankeVassilakou bzw. #ThanksVassilakou: Der einstige ÖVP-Landesgeschäftsführer Alfred Hoch verwendete ihn als einer der Ersten. Er machte Vassilakou in einem Tweet für ein Verkehrschaos nach Regen verantwortlich. Weil die Absurdität hier so offenkundig war, etablierte sich der Hashtag – allerdings wurde er in der Folge nur ironisch verwendet. Auch Monate später "bedankten" sich Leute auf Twitter bei Vassilakou für Kurioses, das natürlich nicht in ihre Zuständigkeit fiel – etwa weil sie kein Klopapier mehr hatten, die U-Bahn erst in fünf Minuten fährt oder die Lieblingsschokolade beim Billa aus war.

Dieser Social-Media-Trend war allerdings eine Ausnahme. Zwar wussten viele in der polit-medialen Szene, wie mit Vassilakou, aber teils auch mit weiblichen Regierungsmitgliedern der SPÖ umgesprungen wurde. Viele wussten außerdem, woher dieser frauenfeindliche Wind wehte: Vor allem im "Wiener Melange" genannten Kommentar von Richard Schmitt in der "Kronen Zeitung", der von 2015 bis 2017 erschien, kamen neben Vassilakou auch Renate Brauner, Sonja Wehsely und Sandra Frauenberger mehr als nur nicht gut weg. Man kann in diesen Fällen von regelrechten Kampagnen gegen die Politikerinnen sprechen. Das Frauennetzwerk Medien verlieh Schmitt bereits 2012 wegen einer "beispiellosen Hetzkampagne" gegen Renate Brauner den "rosa Koffer".

Thematisiert wurde all das allerdings kaum, jedenfalls nicht in einer dafür notwendigen Breite. Wahrscheinlich auch, weil die betroffenen Politikerinnen das selbst gar nicht wollten. Ihnen allen war klar, dass es dann nur heißen würde, sie wären zu emotional, würden nichts aushalten.

"Ja, es ist nicht immer lustig, aber, hey: If you can’t stand the heat, get out of the kitchen. Es gibt Menschen, die mit ganz anderen Problemen konfrontiert sind", sagt Vassilakou zum Beispiel in einem Interview. Ihre Einstellung ist klar. Sie habe sich sehr früh dafür entschieden, ihre Entscheidungen nicht danach auszurichten, ob sie dafür gemocht werde. Und sie wusste um die Faktoren, die sie zu einem gefundenen Fressen für politische Gegner oder Gratiszeitungen machten: Sie ist nicht nur eine Frau, sie ist auch Ausländerin und will linke Politik machen.

Rassistische Anfeindungen

Vassilakou kam zwar schon als Studentin nach Wien und spricht perfekt Deutsch. In Facebook-Gruppen schreiben User dennoch, sie solle zurück nach Griechenland, nennen sie "Tzatziki-Mitzi" oder "Vassila-Kuh". Dass sie es vielleicht noch schwerer gehabt hätte, wenn sie ursprünglich aus einem anderen Land gekommen wäre oder eine andere Hautfarbe hätte, räumte Vassilakou ein. Sie habe aber auch schon vor ihrer politischen Karriere rassistische Anfeindungen erlebt. Den Aufstieg Jörg Haiders mit seiner ausländerfeindlichen Politik – Vassilakou kam 1986 nach Wien –, beschrieb sie stets als Schlüsselerlebnis. Danach wurde sie politisch aktiv.

Keine Schwäche zeigen, persönlich erfahrene Ungerechtigkeiten einfach weglächeln, stattdessen Durchsetzungskraft betonen und auf den Tisch hauen – ein männliches Bild der Politik, das noch immer vorherrscht. Vassilakou ging diesen Weg konsequent: In ihrer Zeit als Planungs- und Verkehrsstadträtin setzte sie nicht nur das 365-Euro-Öffi-Jahresticket, sondern auch die Begegnungszone Mariahilfer Straße um, später folgten weitere Begegnungszonen – das Auto wurde auch andernorts zurückgedrängt, was viele Menschen emotionalisierte bzw. auf die Palme brachte.

Ungleichbehandlung der Geschlechter nach wie vor

Diese Strategie zeigt aber auch, wieso gerade Maria Vassilakou ihren Platz in dieser Serie finden sollte. Denn natürlich wusste sie: Schlimmer als eine Frau mit ausländischem Namen, die linke Politik machen will, ist nur eine empfindliche oder wehleidige Frau mit ausländischem Namen, die linke Politik machen will. Wobei natürlich müßig ist zu betonen, dass erstens auch andere Personen auf Ungleichbehandlungen hinweisen könnten und zweitens ein Aufmerksammachen auf Rassismus oder Sexismus in der Öffentlichkeit nichts mit Wehleidigkeit zu tun hat.

Der Boulevard hatte nicht nur diverse Spitznamen für Maria Vassilakou, sondern zeigte sich auch in der Bildauswahl – positiv formuliert – kreativ. (Vassilakou wurde natürlich Verkehrs-, nicht "Ausländer-Stadträtin".)
Foto: Screenshot oe24.at

Durchsetzungsstärke schön und gut. Aber weil Frauen in der Politik nach wie vor strenger bewertet werden als Männer (das Aussehen, das Alter, der Familienstand, die Kleidung oder auch der "Stil" von Politikerinnen füllt noch immer ganze Artikel), dürfen sie auch nicht zu durchsetzungsstark wirken oder allzu sehr auf den Tisch hauen, versteht sich. Auch das bekommt Vassilakou zu spüren. Schnell werden ihr "machiavellistische Züge" nachgesagt.

Vielleicht ist jetzt also – wieder einmal – die Zeit, um sich eingehender mit den unterschiedlichen Standards zu beschäftigen, die in der heimischen Politik an Männer und Frauen – noch immer – angelegt werden. Vor wenigen Wochen erst kommentierte die "Kronen Zeitung" die Bestellung von Claudia Plakolm zur Staatssekretärin für Jugend in einer Push-Nachricht beispielsweise so: "Sie ist das jüngste – und je nach Neigung wohl attraktivste – Gesicht in der großen ÖVP-Rochade."

Der große Schmerz

Am Ende ihrer politischen Karriere fand zumindest ein Boulevard-Medium versöhnliche Töne in Richtung Vassilakou wenn auch der Tonfall despektierlich blieb. Wolfgang Fellner schrieb zum Abschied, dass "Queen Mary" in Wien fehlen werde. Maria Vassilakou sagte etwa zur selben Zeit bei einem ihrer Rücktrittsinterviews: "Es gibt eine Maria Vassilakou, die sich in der Früh im Spiegel anschaut und abends beim Zähneputzen wieder, und dazwischen, tagsüber, ist es eigentlich eine andere Person. Und in den sehr wenigen Minuten oder Sekundenbruchteilen in meinem politischen Leben, in denen ich diese Distanz verlor, war der Schmerz so groß, dass ich nie mehr versucht war, das wieder zuzulassen." (Lara Hagen, 4.3.2022)