Balkone sind bei neuen Wohnprojekten heute nicht mehr wegzudenken. Den Wert einer Freifläche – und sei sie noch so klein – hat auch die Corona-Pandemie gezeigt. Was dabei in manchen Grätzeln auffällt: Bei den Balkonen wird die Immobranche kreativ. In der Bendlgasse 33 in Wien-Meidling hat sich Bauträger Rustler bei den Stabgeländern der Balkone zum Beispiel für eine Mischung aus Gelb, Rot und Orange entschieden, ein paar Gehminuten entfernt wurden in der Rauchgasse 40–44 die Balkone etwas dezenter mit gelben und orangen Elementen versehen.

In der Vivenotgasse 52, der Rauchgasse 40-44 und der Bendlgasse 33 in Wien-Meidling hat man sich für farbige Balkone entschieden.
Fotos: Zoidl

In der Vivenotgasse 52 wiederum steht ein Neubau von JJR Projekt, der – je nach Lichteinfall – mit knallgelben oder giftgrünen Balkonen aufgemotzt wurde. Der Trend ist auch der Maklerin Sonja Kaspar von Otto Immobilien aufgefallen. Ihre Erklärung dafür: "Die Projektentwickler wollen wieder mehr Akzente setzen." Auch die hohen Preise für Baumaterial könnten eine Rolle spielen, weil die Farbauswahl der Balkone vergleichsweise günstig sei.

Nachfrage in der Vivenotgasse 52: "Ich komme vom Land, für mich ist die Stadt grau und schmutzig", sagt Projektleiter Christian Hagenhofer. Dem habe man Farbe entgegensetzen wollen. Während eine knallige Fassade schnell grau werde, sei die Farbsetzung bei Balkonen dauerhaft. Der Architekt habe diesbezüglich unterschiedliche Vorschläge gemacht. Warum wurde es gelb? "Gelb ist etwas Positives."

Ähnlich argumentiert man beim Bauträger Liv, der nicht weit entfernt beim Projekt "Liv beim Meidlinger Markt" ebenfalls gelbe Akzente bei den Balkonen gesetzt hat. Mit den "eleganten bronze -und gelbgoldfärbigen Eloxaloberflächen" habe man Leben in einen tristen Straßenzug bringen wollen, heißt es auf Nachfrage.

Schwierige Lichtverhältnisse

Die Architektin und STANDARD-Bloggerin Sabine Pollak mahnt bei Farben zur Vorsicht: Was gefällt, sei individuell. Und bei Wiener Lichtverhältnissen würden Grün und Gelb schnell kalt wirken.

Pollak kritisiert die "kompakten Klötze" und "glatten Fassaden", die sich im Wohnbau durchgesetzt haben: "Und das letzte leistbare Mittel des Bauträgers ist die Farbe", sagt sie. Den vielen Anlegerinnen und Anlegern, die die Wohnungen nicht für sich selbst kaufen, sondern um sie zu vermieten, sei das völlig egal.

Christian Hagenhofer ist mit seiner Farbauswahl zufrieden: In der Vivenotgasse 52 sind nur noch zehn der 48 Einheiten zu haben. Zudem seien die meisten der ursprünglich als Vorsorgewohnungen konzipierten Einheiten letztendlich von Eigennutzerinnen und Eigennutzern erworben worden.

Architektur ist sekundär

Vonseiten der MA 19 (Architektur und Stadtgestaltung) gibt es zu den knallbunten Balkonen bisher keine Beobachtungen. Auch Beschwerden von Anrainerinnen und Anrainern wurden bisher keine verzeichnet. Die Farben müssen aber im Einklang mit dem Ortsbild stehen, das gibt die Bauordnung vor.

Von anderer Seite mehrt sich aber die Kritik an der Architektur von Wohnhäusern: Für den Architekten und Stadtforscher Robert Temel sind die vielen Vorsorgewohnungen "eines der größten Probleme der Stadtentwicklung in Wien", weil die architektonische Qualität oft nicht stimme.

Auch Georg Scherer, der auf seinem Blog wienschauen.at die Stadtentwicklung verfolgt, kritisiert fehlende Gestaltungsvorschriften und qualitätssichernde Verfahren sowie eine investorengesteuerte Stadtplanung: "Das Einzige, was die Stadt vorschreibt, sind Garagenplätze, die oft gar nicht gebraucht werden." Attraktive Fassaden, Balkone und nutzungsoffene Erdgeschoßzonen seien nicht vorgeschrieben: "Das zeigt die Prioritäten." (Franziska Zoidl, 26.2.2022)