Im Krieg Russlands gegen die Ukraine droht eine Ausweitung der Kampfhandlungen vor allem in Kiew. Der Kreml behauptete, die Ukraine habe am Samstag Friedensverhandlungen mit Russland abgelehnt. So werde der "Vormarsch der wichtigsten russischen Streitkräfte" begründet und wieder aufgenommen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Die ukrainische Führung dementierte. "Ihre Kommentare, dass wir Verhandlungen abgesagt hätten, sind lediglich Teil ihrer Taktik", sagte Präsidentenberater Mychajlo Podolak.

Ein Wohnhaus in Kiew wurde beschossen.
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Bei den Angriffen der russischen Armee sind laut den ukrainischen Behörden bisher 198 Zivilisten getötet worden. Unter den Todesopfern seien drei Kinder, erklärte Gesundheitsminister Viktor Ljaschko. Zudem seien 1.115 Menschen verletzt worden, darunter 33 Kinder. Diese Angaben lassen sich von unabhängiger Seite kaum überprüfen. Russland will laut Ex-Präsident Dmitri Medwedew trotz westlicher Sanktionen den Einmarsch in die Ukraine nicht abbrechen.

Russland igelt sich rhetorisch ein

Medwedew, Vizevorsitzender des russischen Sicherheitsrats, erklärte: "Die Militäroperation zum Schutz des Donbass wird vollständig und bis zum Erreichen aller Ergebnisse durchgeführt. Nicht mehr und nicht weniger." Daran änderten auch die Strafmaßnahmen des Westens nichts. Medwedew bezeichnete die Sanktionen des Westens als "politische Ohnmacht, die sich aus der Unfähigkeit ergibt, den Kurs Russlands zu ändern".

"Jetzt werden wir von überall vertrieben, bestraft, verängstigt, aber wir haben wieder keine Angst", sagte der Vertraute von Präsident Wladimir Putin. Russland werde "spiegelbildlich" antworten. Überhaupt brauche sein Land keine diplomatischen Beziehungen zum Westen. Es sei an der Zeit, "Botschaften mit Schlössern zu verschließen".

Selenskyj zeigt sich

An Tag drei der russischen Ukraine-Invasion kam es zu Gefechten um die Hauptstadt Kiew und andere Städte. Vor allem in Kiew wurden die Einwohner dazu aufgerufen, sich in der Nacht in Sicherheit zu begeben. Es wurden heftige Beschüsse erwartet. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief seine Landsleute in Videobotschaften zur Abwehr russischer Angriffe auf. Ihm zufolge sind "mehr als 100.000 Eindringlinge in unserem Land".

Nach UNO-Angaben sind Hunderttausende in der Ukraine auf der Flucht. Allein in Polen sind nach Regierungsangaben bisher 115.000 Flüchtlinge aus dem Nachbarland angekommen.

Der Bahnhof von Lwiw am Samstag.
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Putin hatte am Donnerstag den Angriff auf das Nachbarland begonnen. Bereits am Freitag drangen russische Truppen an den Rand der Hauptstadt Kiew vor, die auch aus der Luft beschossen wurde. In Kiew leben rund 2,8 Millionen Menschen. Kämpfe gab es auch um Odessa, Mariupol und andere Städte im ganzen Land. Die Europäische Union und die USA wollen nicht militärisch in den Konflikt eingreifen. Sie verhängten aber scharfe Sanktionen, auch gegen Putin selbst.

Selenskyj meldete sich in der Nacht auf Samstag und am Morgen immer wieder in Videobotschaften. Unter anderem forderte er die Aufnahme seines Landes in die EU – derzeit ein aussichtsloses Unterfangen. Vor allem wollte er zeigen, dass er die Ukraine nicht verlassen habe: "Ich bin hier." Das Land müsse verteidigt werden. Putin hatte die ukrainische Armee aufgefordert, die Waffen niederzulegen. Das zeichnete sich nicht ab.

Ausgangssperren

Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, betonte, die Hauptstadt sei weiter in ukrainischer Hand. Die Behörden haben eine vollständige Ausgangssperre bis zum kommenden Montag verhängt. Die Ausgangssperre gelte zwischen Samstag um 17.00 Uhr und 08.00 Uhr am Montag, erklärte die ukrainische Hauptstadtverwaltung im Messengerdienst Telegram. "Alle Zivilisten, die während der Ausgangssperre auf den Straßen sind, werden als Mitglieder von Sabotagegruppen des Feindes betrachtet."

Von beiden Kriegsparteien gab es militärische Erfolgsmeldungen. Das ukrainische Militär erklärte, man habe 3.500 russische Soldaten getötet und 200 weitere gefangen genommen. Zudem seien 14 Flugzeuge, acht Hubschrauber und 102 Panzer sowie mehr als 530 weitere Militärfahrzeuge zerstört worden.

Lage unklar

Russland meldete seinerseits, es seien mehr als 800 ukrainische Militärobjekte "außer Gefecht" gesetzt worden. 14 Militärflugplätze, 19 Kommandoposten, 24 Flugabwehr-Raketensysteme vom Typ S-300 und 48 Radarstationen seien zerstört, acht Marine-Boote der Ukraine getroffen worden. Russische Truppen hätten die Kontrolle über die südostukrainische Kleinstadt Melitopol.

Diese Angaben der Kriegsparteien können nicht von unabhängiger Seite überprüft werden. Gesicherte Informationen sind immer schwerer verfügbar. Viele westliche Journalisten haben Kiew verlassen. Eine diplomatische Lösung für den Konflikt ist nicht in Sicht. Um Druck auf Russland auszuüben, traten in der Nacht auf Samstag neue EU-Sanktionen in Kraft.

Russland warf der ukrainischen Seite indes den Beschuss von Wohngebieten im Separatistengebiet Donbass vorn. "Ukrainische Nationalisten" hätten am Samstagvormittag unter anderem die Stadt Starobilsk im Luhansker Gebiet angegriffen, erklärte das Moskauer Verteidigungsministerium der Agentur Interfax zufolge. "Infolgedessen ist in der Stadt ein Feuer ausgebrochen, es gibt zerstörte Wohngebäude und Tote unter der Zivilbevölkerung", hieß es.

Zugleich betonte das Ministerium in Moskau erneut, die russische Seite attackiere keine ukrainischen Wohnsiedlungen. Zuvor war allerdings ein Hochhaus in der Hauptstadt Kiew bei schweren Angriffen russischer Truppen getroffen worden. Bilder von dem Hochhaus zeigten deutlich sichtbar einen Einschlag in oberen Stockwerken. Mindestens vier Etagen auf einer Seite des Hauses wurden dabei zerstört. Unklar war zunächst, was genau vorgefallen war und ob es Opfer gab.

Widerstand "in jeder Straße"

Die ukrainische Armee rief die Bevölkerung auf, den russischen Vormarsch mit allen Mitteln zu stoppen. "Fällt Bäume, baut Barrikaden, verbrennt Reifen! Nutzt alles, was Ihr zur Hand habt!", zitierte die Agentur UNIAN am Samstag aus einer Mitteilung. Auch der Bau sogenannter Molotow-Cocktails könne helfen. "Die Besatzer müssen verstehen, dass sie hier nicht erwünscht sind und dass ihnen in jeder Straße Widerstand geleistet wird."

In Kiew wurden zahlreiche Waffen an die Einwohner verteilt. Insgesamt seien 25.000 automatische Waffen sowie 10 Millionen Patronen ausgegeben worden, sagte Innenminister Denys Monastyrskyj. Auch Panzerabwehrwaffen seien ausgehändigt worden.

Nach Darstellung des ukrainischen Präsidenten Selenskyj sind inzwischen Zehntausende russische Truppen in die Ukraine einmarschiert. "Mehr als 100 000 Eindringlinge sind in unserem Land", schrieb das Staatsoberhaupt am Samstag im Kurznachrichtendienst Twitter. "Sie schießen heimtückisch auf Wohngebäude." Er appellierte an den UN-Sicherheitsrat, die Ukraine dringend politisch zu unterstützen. "Stoppt gemeinsam den Angreifer!"

Selenskyj appellierte am Samstagnachmittag auf Twitter an den UNO-Sicherheitsrat, die Ukraine dringend politisch zu unterstützen. "Stoppt gemeinsam den Angreifer!" Eine gegen den russischen Angriff gerichtete Resolution im Sicherheitsrat war zuvor freilich wie erwartet am Veto Moskaus gescheitert. (APA, 26.2.2022)