In Deutschland ist die Krisenmaschinerie wieder voll im Gang. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck hat ein Kreditprogramm der staatlichen Förderbank KfW angekündigt, um deutsche Unternehmen zu stützen, die Einbußen in ihrem Russlandgeschäft – etwa durch Sanktionen – hinnehmen müssen. Wann genau das Programm starten soll, ist ebenso noch offen wie das Volumen. Das deutsche Wirtschaftsministerium beziffert die Investitionen deutscher Unternehmen in Russland auf 20 Milliarden Euro.

Exodus bei Unternehmen

Selbst Gedankenspiele, ob nicht ein vollständiger Rückzug deutscher Unternehmen aus Russland verkraftbar wäre, werden nicht mehr so einfach vom Tisch gewischt. Unternehmen ziehen ohnehin schon seit Tagen reihenweise ihre Schlüsse aus dem Einmarsch Russlands in der Ukraine: Manche schränken ihr Geschäft mit Russland empfindlich ein oder kappen es komplett. Zuletzt stoppte der US-Chipriese Intel seine Lieferungen. Auch der deutsche Softwareriese SAP stellt sein Geschäft teilweise ein. Der Tiroler Kristallkonzern Swarovski dreht seine Glitzerwelt zumindest auf den Internetseiten vorübergehend zu.

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Rohstoffnachschub aus Russland versiegt in manchen Teilen der Wirtschaft.
Foto: Reuters/Maxim Shemetov

Die Auswirkungen auf die russische Wirtschaft dürften verheerend sein. Die Analysten der US-Großbank JPMorgan sagen für das zweite Quartal einen Absturz des Bruttoinlandsprodukts von 35 Prozent voraus. 2022 dürfte die Wirtschaftsleistung um sieben Prozent einbrechen. Dass die EU-Sanktionen Wirkung zeigen, davon ist auch Alexander Schallenberg überzeugt. Man sehe, "dass die jetzigen Sanktionen schon Biss haben, sie tun weh, sie funktionieren", sagte der heimische Außenminister vor einem EU-Sondertreffen mit seinen Amtskollegen am Freitag in Brüssel mit Verweis auf Filialschließungen von westlichen Unternehmen und leere Bankomaten. "Die Menschen merken, es ist was schiefgelaufen." Gleichzeitig stellte er ein viertes EU-Sanktionspaket in Aussicht. Dieses würde in Richtung Wirtschaft, Finanzsektor und Oligarchen gehen, sagte Schallenberg. Die Arbeiten dazu würden im Hintergrund laufen, ein Zeitfenster wollte er nicht nennen.

Aussichten verdüstern sich

Der JPMorgan-Experte Anatoli Shali rechnet damit, dass die Exporte in Russland heuer um 13 Prozent schrumpfen, die Importe um knapp ein Drittel. Auch die Aussichten für Handelspartner wie Deutschland verschlechtern sich rapide. Ökonomen senken reihenweise ihre Prognose: Die DZ Bank geht nun von einem BIP-Wachstum für heuer von 1,9 Prozent aus – 3,0 hatte man davor auf der Rechnung. Die Ratingagentur Scope senkt ihre Prognose von 4,4 auf 3,5 Prozent.

"Die verhängten Sanktionen gegen Russland werden auch die Wirtschaft in Deutschland in den kommenden Monaten merklich belasten", begründete DZ-Bank-Ökonom Christoph Schwonke den Schritt. "Wir gehen derzeit davon aus, dass das Wachstum zumindest bis zur Jahresmitte einen empfindlichen Dämpfer verkraften muss."

Die Aussichten für die Wirtschaft in Deutschland verdüstern sich.
Foto: Imago

Hierzulande gibt man sich indes betont gelassen. In Russland sind rund 650 Austrobetriebe mit Investitionen von rund 4,6 Mrd. Euro aktiv, in der Ukraine betreiben heimische Firmen rund 200 Niederlassungen. Von einem Kreditprogramm für heimische Exporteure – wie Deutschland es derzeit strickt – hält man im Finanzministerium dennoch nichts. Es gebe ohnehin aktuell keinen Bedarf nach Exportgarantien, investiert würde in den betroffenen Ländern eher nicht.

Austausch

Ein Empfang von Spitzenvertretern großer Unternehmen wie AUA, OMV oder Vienna Insurance Group bei Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sowie Parteikollegen und Finanzminister Magnus Brunner am Freitag habe lediglich dem Austausch gedient, wird beteuert.

Clemens Zinkl von der Arge Automotive Zulieferindustrie ist schon weiter. Er weiß, dass die Autozulieferer vor dem nächsten Engpass stehen, weil Kabelbäume, die normalerweise großteils aus der Ukraine kommen, fehlen. Dafür gilt es nun Alternativen aufzustellen. Engpässe gebe es zudem bei Blechen. Die müssten nun zu höheren Preisen anderswo zugekauft werden. Auch über das Schreckensszenario, dass Gas tatsächlich zugedreht werden könnte, denke man nach. Ein Großteil der betroffenen Industriebetriebe – vom Feuerverzinker bis zum Gießer – stünde dann schnell einmal still, ist Zinkl überzeugt. Doch jetzt geht es einmal um kleine Teile, die nicht geliefert werden. Zinkl beschreibt das Ergebnis so: "Wenn ein Teil ausfällt, kann das Auto nicht gebaut werden." (Regina Bruckner, 4.3.2022)