Mit jedem Tag wird die ungeheure Bedeutung der Folgen des Ibiza-Videos klarer. Stellen wir uns vor, dass zur Zeit des Ukraine-Krieges noch immer die heutige Russland-Propagandistin Karin Kneissl Außenministerin wäre.

Oder dass eine türkis-blaue Regierung weiterhin von Sebastian Kurz mit Bewunderung für starke Männer, wie Wladimir Putin und Viktor Orbán, geführt würde. Oder die Staatsholding mit Putin-Freund Siegfried Wolf an der Spitze: Putin habe "Leadership", etwas, was er "in großem Maße" in der Europäischen Union vermisse. "Da würde ich mir ein bissl mehr russische Demokratur wünschen" (siehe DER STANDARD, 19.6.2014).

Die Angriffe aus dem Kreml zeigen, dass Bundeskanzler Karl Nehammer den richtigen Ton zur richtigen Zeit gefunden hat: "Wer das Völkerrecht missachtet, der missachtet auch die Neutralität!" Es ist verständlich, dass Putin nach seinem so begeisterten Empfang in Wien im Juni 2014, und nach allein im Jahr 2018 vier so freundlichen Begegnungen mit Kurz, zutiefst enttäuscht ist: Österreichische Amtsträger hätten in den vergangenen Tagen "einseitige und empörende Aussagen" zur Situation in der Ukraine getätigt, Nehammer sei der Bundeskanzler eines "scheinbar neutralen Österreich" mit "emotionaler antirussischer Rhetorik", hieß es in einer offiziellen Stellungnahme aus Moskau.

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Noch im Februar lobten Orbán und Putin ihre engen Beziehungen.
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Orbán und Putin

Wie ähnlich klang das 1956 nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes, als Österreich "dem Trommelfeuer einer verlogenen Propaganda" als "Operationsbasis der imperialistischen Infiltration" ausgesetzt gewesen war. Daran erinnerte Bruno Kreisky in einer fulminanten Rede im August 1968, eine Woche nach der Invasion in der Tschechoslowakei durch die Warschauer-Pakt-Truppen, und fügte hinzu: "Es gibt in der Geschichte (…) keinen einzigen Fall, wo sich Unterwürfigkeit und Unentschlossenheit – aus welchen Motiven immer – in der Politik auf die Dauer gelohnt hätten." Das gilt auch heute für die Reaktion auf den russischen Überfall auf die unabhängige Republik Ukraine. Anders als Österreich verhält sich der ungarische Ministerpräsident Orbán ausgesprochen konstruktiv – aus russischer Sicht. Noch Anfang Februar lobten in Moskau Orbán und Putin ihre besonders engen Beziehungen. Im krassen Gegensatz zu Polen, Tschechien und der Slowakei hat die ungarische Regierung den russischen Angriff auf die Ukraine nicht verurteilt.

Der deutsche EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) warf Orbán "ein unglaubliches Doppelspiel" vor, nachdem der Nato-Partner Ungarn keine Waffenlieferungen für die Ukraine über das eigene Hoheitsgebiet zulässt. Der frühere EU-Ratsvorsitzende und Chef der polnischen EVP, Donald Tusk, spottete: Orbán und Außenminister Péter Szijjártó würden von Putin "mehr als nur Orden verdienen (...). Sitze im Gazprom-Vorstand wären die angemessene Belohnung für ihre Loyalität."

Die Zugehörigkeit zur Nato ist also keine Gewähr für eine Demokratie. Im Gegensatz zu Ungarn und trotz Schwachstellen in der Regierung funktioniert der Rechtsstaat im neutralen Österreich, und die Medien enthüllen Machtmissbrauch und Korruption ohne Rücksicht auf die Stellung der Personen. Orbáns Ungarn – trotz Nato- und EU-Mitgliedschaft – ist aber ein autoritärer Partner der russischen Diktatur. (Paul Lendvai, 7.3.2022)