Trotz der düsteren Stunden machte sich Euphorie breit. Alle paar Sekunden setzte frenetischer Applaus ein, einen Teil der Abgeordneten riss es von den Sitzen. Vor ein paar Wochen noch wäre Begeisterung aus diesem Anlass völlig undenkbar gewesen: Bundeskanzler Olaf Scholz hatte eben verkündet, dass das historisch belastete Deutschland massiv aufrüsten werde.

In Österreich spielt sich alles eine Nummer kleiner, aber im Kern ähnlich ab: Sowohl Regierung als auch Opposition wollen das Verteidigungsbudget erhöhen, ein Kurswechsel auch hier. Jahrelang wurde das Bundesheer kurzgehalten, zumal – so das unterfütternde Argument – ein Angriff einer feindlichen Armee nach Ende des Kalten Krieges kein plausibles Szenario sei. In einem gern bemühten, plakativen Bild: Für die Panzerschlacht im Marchfeld müssten wir uns nicht mehr wappnen.

Hat sich das nun tatsächlich geändert? So widerwärtig der russische Angriff auf die Ukraine ist: Weder politisch und historisch noch geografisch deutet etwas darauf hin, dass Österreich eine vergleichbare Gefahr droht. Die Republik zählt nicht zur von Russland traditionell beanspruchten Einflusssphäre. Rundherum bilden Nato-Staaten eine von der USA gestützte Barriere, die wohl nur ein selbstmörderisch veranlagter Hasardeur angreifen würde. All das macht eine Invasion eines Aggressors unwahrscheinlich – und spricht dagegen, dass Österreich beispielsweise die Panzerflotte aufstockt, wie sich das manche im Heer bereits erträumen.

Angelobung von Rekruten des Österreichischen Bundesheers.
Foto: APA/FLORIAN WIESER

An dieser Stelle lässt sich der Gedanke der Solidarität einwerfen. Österreich könnte ja auch deshalb aufrüsten, um sich zugunsten exponierterer Staaten an gegenseitigem, europäischem Beistand zu beteiligen. Mit der Nato, die 21 der 27 EU-Mitglieder beherbergt, stünde eine realistische Variante bereit. Doch in dieses Bündnis will hierzulande kaum jemand einsteigen. Die allermeisten Politikerinnen und Politiker klammern sich im Einklang mit der Volksmeinung an die Neutralität.

Massive Militärinvestitione

Manche kokettieren mit der Teilnahme an einer künftigen EU-Armee, aber die ist bis dato kaum mehr als ein Gedankengebäude. Ein Argument für massive Militärinvestitionen gibt diese vage Perspektive ebenso wenig her.

Es ist auch unklar, ob ein Europaheer in dieser Krise etwas gebracht hätte. Ja, Diplomatie und zivile Druckmittel haben im Vorfeld des Ukraine-Krieges versagt – doch das heißt nicht, dass militärische Stärke zum Erfolg geführt hätte. Wer an EU-Interventionen in einem solchen Fall denkt, sollte sich die potenziell desaströsen Folgen vor Augen führen: Da stünden sich zwei mit Atomwaffen ausgestattete Mächte direkt gegenüber. Aus gutem Grund schrecken Nato und USA in der Ukraine genau davor zurück.

Dass allein die Präsenz einer EU-Armee für genügend Abschreckung sorgen würde, ist folglich zweifelhaft. Von der Nato vor Russlands Grenze ließ sich Invasor Putin auch nicht beeindrucken.

Die Einwände bedeuten nicht, dass höhere Militärausgaben per se tabu sein sollen. Man kann über mehr Geld fürs Heer diskutieren, aber bitte in der richtigen Reihenfolge: Erst muss die Politik Widersprüche klären, einen schlüssigen Plan vorlegen und Kosten gegen reale Risiken abwägen. Vor jeder theoretisch denkbaren Bedrohung wird sich ein kleines Land nie schützen können. Sonst müsste Österreich den Wehretat vervielfachen und Atomwaffen anstreben. (Gerald John, 9.3.2022)