Viel ist auf der mit Spannung erwarteten Zinssitzung am Donnerstag nicht passiert. Die Währungshüter in Frankfurt verschafften sich Zeit – die Anleihenkäufe werden zwar nur bis Juni statt, wie zuvor geplant, bis Oktober fortgeführt, aber auch das ist noch nicht ganz sicher. Deren Beendigung gilt in der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) als Voraussetzung für eine Zinserhöhung. Sprich, EZB-Chefin Christine Lagarde hält sich alle Optionen offen, und der Leitzins bleibt zunächst dort, wo er seit 2016 verharrt: bei null Prozent.

Frage: Viele Notenbanken stemmten sich bereits mit Zinserhöhungen gegen steigende Rohstoff- und Energiepreise. Die US-Notenbank wird dies wohl kommende Woche tun. Warum die EZB noch nicht?

Fahren auf Sicht – in der EZB-Spitze hält man sich alle Wege offen.
Foto: APA/dpa/Frank Rumpenhorst

Antwort: Die Notenbanker tappen schlicht und ergreifend im Nebel. Niemand kann seriös beantworten, wie lange der Krieg in der Ukraine dauert und wie heftig Sanktionen und Gegenreaktionen ausfallen. Die Abwärtsrisiken für die Wirtschaft sind kaum abschätzbar. Dazu kommt, dass Lieferengpässe und höhere Rohstoffpreise die Inflation weiter anheizen. Damit verfolgt die EZB zwei konkurrierende Ziele: Die Konjunktur zu stützen erfordert ein tiefes Zinsniveau, die Teuerung zu bremsen eher das Gegenteil.

Frage: Wie reagiert die EZB in dieser schwierigen Lage?

Antwort: Die Zentralbank plant das allmähliche Ende ihrer Anleihenkäufe. Sie will ihr milliardenschweres Programm nun schneller zurückfahren und im Sommer auslaufen lassen – wenn es der Inflationsausblick erlaubt. Selbst dann muss eine Zinserhöhung nicht auf dem Fuß folgen. Die EZB verschaffte sich in dieser Frage mehr Spielraum und erklärte diesmal, die Wende stehe erst "einige Zeit nach dem Ende" der Käufe an.

Frage: Was erwarten die Währungshüter der Eurozone für heuer?

Antwort: Zunächst hat sich der Optimismus hinsichtlich der Erholung von der Pandemie deutlich abgekühlt. Immerhin: Mit einem Konjunktureinbruch oder einer Rezession angesichts des Ukraine-Krieges rechnen die Notenbanker nicht. Allerdings haben die Ökonomen der EZB ihre Wachstumsprognosen gesenkt und Inflationsvorhersagen deutlich angehoben – für heuer erwarten sie nun 5,1 Prozent in der Eurozone.

Frage: Was sagen Fachleute zum weiteren Vorgehen der EZB?

Antwort: Sie interpretieren die Aussagen von EZB-Chefin Lagarde als zuwartend. "Das klingt jedenfalls nicht nach einer Zinsanhebung noch im laufenden Jahr, sondern ist wohl eher Bestandteil des Jahres 2023", sagte etwa Chefökonom Thomas Gitzel von der liechtensteinischen VP Bank.

Bild nicht mehr verfügbar.

EZB-Chefin Lagarde sorgte nicht für Klarheit.
Foto: AP/Daniel Roland

Frage: Warum ist langes Zögern gefährlich?

Antwort: Derzeit ist der Lohndruck nicht sehr stark. Je länger die Inflation anhält, auf desto üppigere Zuwächse werden Gewerkschaften bei Lohnrunden pochen – Grundstein für die Lohn-Preis-Spirale: Höhere Einkommen treiben die Verbraucherpreise weiter an, Inflation wird zum Selbstläufer. Gestoppt werden kann sie nur dann nur noch durch umso aggressivere Geldpolitik.

Frage: Was bedeutet dies für den Euro?

Antwort: Da die US-Notenbank Fed die Zinsen schneller und zügiger erhöht, wird der Euro gegenüber dem Dollar unter Druck bleiben – denn Zinsunterschiede ziehen Kapital massiv an. Gut für Exporteure, die außerhalb der Eurozone billiger anbieten können. Schlecht für Haushalte und andere Unternehmen, da durch einen schwachen Euro Inflation importiert wird – denn viele Rohstoffe wie Rohöl werden am Weltmarkt in Dollar abgerechnet.

Frage: Wie werden Haushalte die geldpolitische Wende spüren?

Antwort: Das Auslaufen der Anleihenkäufe zunächst gar nicht. Sobald die EZB den ersten Zinsschritt setzt, werden bestehende variable Kredite teurer, ebenso sämtliche neu aufgenommenen – was auch für Unternehmen gilt. Zudem sollten auch die Sparzinsen allmählich wieder etwas ansteigen. (Regina Bruckner, Alexander Hahn, 12.3.2022)