Die Europäer sind Weltmeister in der Gründung von Institutionen und Organisationen. Neben der Europäischen Union gibt es den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), es gibt die Efta für die Schweiz, die auch über zahlreiche Verträge mit der EU verbunden ist, es gibt eine Zollunion mit der Türkei. Es gibt Assoziierungsabkommen mit Nachbarstaaten, von denen manche Beitrittskandidaten werden, die sich dann langsam annähern – oder im Falle der Türkei auch nicht. Für Rechtsstaatlichkeit gibt es den Europarat, für die Verteidigung die Nato, mit der auch das neutrale Österreich über die Partnerschaft für den Frieden zusammenarbeitet.

Länder wie die Ukraine sind gegenüber Russland auch deshalb so verwundbar, weil sie nirgendwo dazugehören.
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Und dennoch fehlt Europa in der größten Krise seit 1945 der passende institutionelle Rahmen, um schwachen Staaten im Osten den Schutz zu bieten, den sie vor der russischen Bedrohung brauchen. Eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine, Georgiens oder Moldaus ist unrealistisch, weil das Moskau noch mehr provozieren würde. Ein schneller EU-Beitritt, den die Ukraine und Georgien zuletzt beantragt haben und für den sich manche EU-Staaten aussprechen, ist überhaupt unmöglich. Denn die EU fordert von Mitgliedern einen Grad politischer und wirtschaftlicher Reife, der nicht nur in dieser Region fehlt. Die Erweiterung ist keine Antwort auf die derzeitige Krise.

Aber Länder wie die Ukraine sind gegenüber Russland auch deshalb so verwundbar, weil sie nirgendwo dazugehören. Ja, die EU und die USA liefern jetzt Waffen an Kiew, die politischen Spitzen beschwören ihre Solidarität. Aber in Reden als Teil der europäischen Familie bezeichnet zu werden ist kein Ersatz für eine formale Zugehörigkeit – vor allem eine, die auch eine Beistandsverpflichtung beinhaltet, wie sie nicht nur die Nato, sondern auch die EU bietet.

Hier wäre die Kreativität von EU-Politikern und Diplomatinnen gefordert, eine starke neue Institution für europäische Staaten außerhalb der EU in Ost- und Südosteuropa zu schaffen. Diese müsste sich auf Themen wie innere und äußere Sicherheit konzentrieren, auf Rechtsstaatlichkeit, Migration und Bildung. Ein solches Bündnis wäre kein Ersatz für eine Vollmitgliedschaft, sondern ein dynamischer Warteraum, der diese Länder so stark an die Union bindet, dass sie sich nicht alleingelassen fühlen – und man auch in Moskau weiß, dass ein Angriff auf sie ein Angriff auf die EU ist.

Nun kann man einwenden, dass eine Beistandsverpflichtung für die Ukraine die EU-Staaten in einen Krieg mit Russland ziehen würde – und über den Weg der Nato dann wohl auch die USA. Die gleiche Gefahr eines dritten Weltkriegs bestünde bei Georgien und Moldau, womöglich die nächsten Ziele russischer Aggression.

Doch in der Diplomatie geht es nicht immer um Schwarz und Weiß, oft führen Zwischentöne eher zum Erfolg. Die EU-Beistandspflicht erfordert nicht zwingend eine militärische Intervention, lässt diese aber offen. Die Botschaft, die der Westen derzeit aussendet – wir bewundern euch Ukrainer, aber ihr gehört doch nicht ganz zu uns –, ist einfach zu wenig. (Eric Frey, 19.3.2022)