Oft sind es bei Gipfeltreffen von Nato, G7 oder EU die kleinen Zeichen und Gesten, die über den Zustand der Welt mehr aussagen als große Erklärungen der Staats- und Regierungschefs. So war das auch beim Gipfelmarathon in Brüssel. Er startete im Hauptquartier der transatlantischen Militärallianz, wurde mit einer Aussprache der sieben wichtigsten westlichen Industrieländer fortgesetzt, ehe es abends in einem zweitägigen Europäischen Rat weiterging. Allein diese Abfolge markiert eine gewisse Rangordnung der Handlungsmacht in diesem Konflikt: Erst kommt die Nato, dann die globalen Wirtschaftsmächte, dann erst die EU.

"Familienfoto" vom G7-Sondergipfel zum Ukraine-Konflikt.
Foto: IMAGO/ZUMA Press

Naturgemäß gab es überall nur ein Thema: Russlands Krieg gegen die Ukraine – was die führenden Demokratien militärisch und wirtschaftlich gegen Russland zu unternehmen vermögen und was sie für die Ukraine tun bzw. nicht tun können.

Das erste Signal des Tages kam – unfreiwillig – vom deutschen Bundeskanzler: Auf Europa allein können sich die Ukrainerinnen und Ukrainer nicht verlassen. Olaf Scholz schaffte es tatsächlich, zum Nato-Gipfel zu spät zu kommen. Der Koalitionsausschuss (!) in Berlin hatte zu lange gedauert. So stand auf dem "Familienfoto" nicht der Kanzler neben Joe Biden, Emmanuel Macron und Boris Johnson, sondern ersatzweise der deutsche Botschafter.

"Kleine" Zeichen

"Ratloser Riese", schrieb die Süddeutsche Zeitung zur Rolle Deutschlands bei einem Krieg. Wie wahr. Scholz war erst zu lange Bremser, beharrte auf Nord Stream 2 noch, als russische Panzer schon rollten, wollte nur 5000 Helme nach Kiew liefern, ehe er umschwenkte. Das stärkste EU-Land gibt sich eher behäbig, wie die ganze EU.

Das zweite "kleine" Zeichen beim Gipfelreigen: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der Ende September Zentralbankchef in Norwegen werden sollte, verlängert in Brüssel um ein Jahr. Das heißt: Die Nato braucht den erfahrenen Mann. Sie stellt sich auf einen langen, harten Konflikt mit Russland ein, muss im Nato-Gebiet im Osten deutlich aufrüsten.

Das dritte Signal kam von US-Präsident Joe Biden. Er zog wie ein Hirtenhund durch alle drei Spitzentreffen von drei Dutzend Staats- und Regierungschefs. Es zeigt: Ohne die USA geht in Europa sicherheitspolitisch fast nichts, im Krieg schon gar nicht. Die Europäische Union bemüht sich seit zwei Jahrzehnten zwar um mehr militärische "Souveränität". Aber bis auf weiteres geht der Westen wieder auf Selbstfindungstour. (Thomas Mayer, 24.3.2022)