Dieses Anti-Kriegs-Wandgemälde zeit Putin als Lord Voldemort, Bösewicht der "Harry Potter"-Reihe von J. K. Rowling. Jetzt hat Putin selbst eine angebliche Verbindung zwischen ihm und Rowling entdeckt.

Foto: EPA / Jakub Kaczmarczyk

Allein die letzten Tage haben gezeigt, in welch schlechter Verfassung sich der Diskurs befindet. Da behauptet ein Kriegsherr, fies vom Westen gecancelt zu werden. Und dort wird als Reaktion auf diese absurde Opfergebärde erklärt, dass alle angeblich nicht lupenreinen Feminist:innen "kleine Putins" seien. Und schließlich ein holpertatschiger Versuch einer kleinen Gruppe von Aktivist:innen, das politisch Richtige zu tun – woraufhin einmal mehr die Mär vom Political-Correctness-Terror bemüht wird.

Kurz: Es ist ein schrecklicher diskursiver Kuddelmuddel, der jegliche Verhältnismäßigkeit und faktische Hierarchie völlig außen vor lässt. Aber schauen wir uns die Debatten der letzten Tage genauer an.

Geschichtsvergessene Überspitzungen

Vor ein paar Tagen griff Wladimir Putin zu einem dieser schnittigen Begriffe, der inzwischen nur mehr sinnbefreit verwendet wird: "Cancel-Culture". Der russische Präsident, der Proteste gegen den Krieg brutal unterdrückt, der Kriegsherr, der sich das Wort "Krieg" verbietet und den Russ:innen vorschreibt, stattdessen von einer "militärischen Spezialoperation" zu sprechen, fühlt sich vom Westen gedisst. Nicht nur er selbst werde gecancelt, sondern alles, was mit russischer Kultur zusammenhängt. Beim Treffen mit Kulturschaffenden in seiner Residenz in Nowo-Ogarjowo verglich er dieses Canceln mit den Bücherverbrennungen der Nazis. Schließlich kam er auf die "Harry Potter"-Autorin J. K. Rowling zu sprechen, die wie er Opfer der Cancel-Culture geworden sei. Wir erinnern uns: Wegen spöttischer Tweets über Formulierungen, die Transfrauen und nichtbinäre Menschen berücksichtigen sollten, schlug Rowling vor zwei Jahren ein rauer Wind auf Social Media entgegen. Geschichtsvergessen wurde sogar von ein paar Aktivist:innen gefordert, die Bücher der Autorin doch zu verbrennen.

In einem Boot mit Putin?

Nun denn, Putin wähnt sich also in einem Boot mit Rowling, die sich freilich prompt von Putin distanzierte. Die Aussagen von Putin sind derart jenseitig, dass wir sie eigentlich getrost ignorieren könnten. Das geht aber leider nicht, wenn dann jene, die grundsätzlich für Feminismus, die Rechte von LGBTIQ+ und Antirassismus stehen, so etwas nutzen, um hinkende Vergleiche anzustellen – und das wieder mit einem dieser Begriffe, die gute Debatten und gemeinsames Nachdenken über aktuelle Herausforderungen zu verhindern scheinen. Nämlich "Terf". Der Begriff steht für "Trans-Exclusionary Radical Feminism". J. K. Rowling gilt, seitdem sie transfeindliche Aussagen getätigt hat, als "Terf" ersten Ranges, knapp gefolgt von Alice Schwarzer. Letztere malt Schreckensszenarien über zehntausende junge Mädchen, die plötzlich ihr Geschlecht wechseln wollen, weil es sich halt als Bub/Mann leichter leben lassen würde. Rowling bringt die Drohgebärde der sexualisierten Übergriffe durch Transfrauen, wenn diese in Umkleiden oder Toiletten für Frauen dürften; sie schreibt auf ihrem Blog: "Wenn du allen Männern, die glauben oder fühlen, Frauen zu sein, die Türen von Toiletten oder Umkleiden öffnest, (…) öffnest du sie allen Männern, die reinwollen. Das ist die Wahrheit." Beides ist völlig daneben und ignoriert die Probleme und Diskriminierung von Transfrauen. Sie erleben Unterdrückung aufgrund von Geschlecht, Solidarität mit ihnen müsste für Feminist:innen selbstverständlich sein.

Aussagen wie jene von Schwarzer oder Rowling kann man durchaus und nachvollziehbar als transexkludierend interpretieren. Allerdings: Warum "radikale Feministin" in einen als Schimpfwort gedachten Begriff gepackt wird, dem man sich gerade in aktivistischen Kreisen bedient, ist schwer nachzuvollziehen. Jedenfalls: Der Vorwurf, eine "Terf" zu sein, wird teils sehr schnell gemacht und fast schon inflationär gebraucht – und er richtet sich oft auch gegen Menschen, die sich ohne böse Absicht patschert ausdrücken. Derlei sollte möglich sein, ohne von manchen Blasen gleich als menschenverachtende Antifeministin verdächtigt zu werden.

Und so landen wir bei dem erwähnten hinkenden Vergleich, wie "Terf" in Reaktion auf den angeblich gecancelten Putin geschrieben wurde: Putin "kriminalisiert und verfolgt queere Menschen", Putin verteidige Rowling, und deshalb wäre Rowling der "kleinere Putin", wie auch jede:r "Terf". Die Gleichung wäre doch einfach.

Es gibt oft auch ein Andererseits

Nein, Gleichungen wie diese sind einfach falsch und zerstören das Gespräch und den Diskurs. Diese Lust an der völligen Dekontextualisierung, an radikalem Posing und an Unverhältnismäßigkeiten von unterschiedlichsten Seiten zeigte sich schließlich auch in der unseligen Diskussion um eine Ausladung einer jungen weißen Musikerin wegen ihrer Dreadlocks durch Fridays-for-Future-Aktivist:innen. Diese meinten, die Musikerin könnte ihre Dreadlocks abschneiden, dann wäre es okay, wenn sie beim Klimaprotest auftrete. Ansonsten nicht. Wegen des Antikolonialismus wär's.

Doch weder das junge Alter der Aktivist:innen noch deren offenbar großer und durchaus lobenswerter Eifer, keine Rassismen reproduzieren zu wollen, wurden berücksichtigt und als Grund gesehen, deshalb etwas cooler darauf zu reagieren. Nein, stattdessen wurden schon die üblichen "Diese Political Correctness wird uns noch alle ins Grab bringen"-Texte formuliert, garniert mit "Zensur"-Drohszenarien und viel anekdotischem Wissen, wie fürchterlich es deswegen schon auf den US-Unis zugehe.

Auch hier fehlte über weiter Strecken die Differenzierung. Nein, die Kritik an "kultureller Aneignung" ist nicht nur eine Spinnerei von Studierenden, die sich gerade mit Critical Whiteness befassen. Kulturelle Zeichen, wie es auch Dreadlocks sind, sind freilich nicht völlig apolitisch, auch wenn sich deren Träger:innen sich nichts dabei denken. Sie erhalten "ihre Bedeutung durch den historischen Kontext ihres Gebrauchs" und sind deshalb nie völlig individuell bestimmbar, wie der Kunsthistoriker Jens Kastner kürzlich in einem Gastkommentar für den STANDARD schrieb. Und somit lieferte er auch ein Andererseits, nämlich dass die Kritik an kultureller Ausbeutung, die mit dem Vorwurf der "Cultural Appropriation" einhergeht, manchmal undifferenziert ist und Kultur immer ein "permanentes Vermischen" sei. Ebenso bestehe die Gefahr einer essenzialistischen "Auffassung von Gruppenzugehörigkeit und menschlicher Praxis". Also dass es so etwas wie eine "wesenhafte Verbindung zwischen Haar, Haut und Handlung" gebe, schreibt Kastner.

Wir sehen: Es ist wirklich nicht alles so einfach, wie es uns der Stil vieler Debatten weismachen will. Fest steht jedenfalls, dass wir mit verbalem Dreckwerfen und Diskursverzerrungen wirklich nicht weiterkommen. (Beate Hausbichler, 31.3.2022)