Tugan Sokhiev dirigierte bei den Salzburger Osterfestspielen.

Foto: Erika Mayer

Salzburg – Er war bis vor kurzem Chefdirigent des Moskauer Bolschoi-Theaters und auch Musikdirektor am Opernhaus Capitole in Toulouse. Zur "untragbaren Wahl" zwischen "seinen geliebten russischen und französischen Musikern genötigt", hat Tugan Sokhiev beide Posten mittlerweile aufgegeben. Zu den Osterfestspielen aber kam er und führte die Sächsische Staatskapelle Dresden – wie schon vor dem Ukraine-Krieg programmiert – durch Dmitri Schostakowitschs 7. Symphonie. Die "Leningrader" wurde großteils 1941 in der von den Nazis eingeschlossenen Stadt komponiert. Er habe nichts dagegen, wird Schostakowitsch im Programmbuch zitiert, "dass man die Siebente die ‚Leningrader‘ nennt ... Es geht um Leningrad, das Stalin zugrunde gerichtet hat. Hitler setzte nur den Schlusspunkt."

Marschierendes Pandämonium

Sokhiev hat die Dresdner auf punktgenaue, fein ausgeklügelte Einsätze – im Martialischen wie im Klagenden – eingeschworen. Ein Höhepunkt des Werks ist das Eindringen einer endzeitlich bizarren, immer brutaler sich gebärdenden Jahrmarktmusik von grässlicher Banalität: Sokhiev und die Dresdner haben die "Invasionsepisode" mit dem Marderhaarpinsel zu malen begonnen und mit Axt und Bihänder zu Ende geschlagen. Bei aller Lautstärke und aller Intensität blieb das marschierende Pandämonium auch eine kontrollierte Crescendo-Studie.

Nach diesem Spuk hebt das Fagott verängstigt und beängstigend an zu klagen; Fetzen der Musik – des Aggressors – wehen aus Ferne und Vergangenheit herüber. Ebenso subtil gestaltet wird die nicht weniger bizarre Episode, ebenfalls angeführt von der kleinen Trommel (Chapeau!), im zweiten Satz: In ihr "mahlert" es, man denkt an das Lied von der Erde. Da wird der durchgängige Rhythmus virtuos durch alle Instrumentengruppen gereicht. Jedes Solo, beginnend bei der Oboe, eine Kostbarkeit. Jeder Stimmungswandel ein Menschheitsdrama. (klaba, 11.4.2022)