Sieht nach Thai aus, ist aber eine vegane Pizzeria: In der Neubaugasse gibt’s jetzt Kunst-Mozzarella unterm Kunstbäumchen.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Wer bei der Pizza auf Dogmatismus setzt, hat schon verloren. Das haben inzwischen sogar die Neapolitaner bemerkt. Die Hohepriester des original unknusprigen Lappens geben sich nach Jahrzehnten der Authentizitätshuberei nun auch für kreativ belegte Fladen her. In Neapel werden derlei Hervorbringungen als "Pizza Gourmet" vermarktet – nur damit keiner behauptet, nicht gewarnt worden zu sein.

Es ist also ganz legitim, dass die Pizzeria Wolke in der Wiener Neubaugasse seit ein paar Wochen auf "neapolitanische Pizzarevolution" macht und Pizza mit Rote-Rüben-Sauce, lila Erdäpfelpüree oder Kürbisbrei bestreicht. Ob man sie mit Mozzarella und Gorgonzola oder veganen Ersatzprodukten (laut Restaurantleitung aus Kokosfett, Stärke und Aromen) belegt haben möchte, bleibt dem Gast freigestellt. Pizzen mit Prosciutto und Salsiccia gibt es auch. Es soll sich hier keiner ausgeschlossen fühlen.

Killerkombination?

Das kleine Lokal liegt im heißesten Teil der Shoppingmeile, dort, wo das Glühen der Kreditkarten auch an kalten Tagen kuscheliges Klima garantiert. Es entstand aus einer Kooperation des veganen Instagram-Beaus Hank Ge (Bali Brunch, ein paar Häuser weiter) und Matteo Minantes, der die Pizzeria Minante in der Siebensterngasse betreibt. Auf farbenfrohen Insta-Look spezialisierte Millennial-Fischerei hier, traditionelles Know-how für das meistgeliebte Italofutter weltweit da: Auf dem Papier klingt das nach einer Killerkombination mit Schlangensteh-Garantie.

Ist aber nicht ganz so. Die Hütte ist mit einer Plastikmagnolie und anderem Kunstgeblüm dekoriert, man sitzt auf Rattanmöbeln im Emmanuelle-Stil, an der Wand hängen Tigerbilder, Bastteppiche und -röckchen – Pizza mit Thai-Curry ist aber nicht im Angebot. In der Küche steht ein mächtiger, auf über 400°C aufgeheizter E-Pizzaofen, auch der "Vollkornsauerteig" darf 48 Stunden fermentieren. Dass Bekannte der Pizzaioli vor der Küchenbudel gerade Reisgerichte aus Takeaway-Boxen löffeln, kann insofern nur Zufall sein.

Die Pizzen sind kleiner als beim Neapolitaner des Vertrauens, dafür ist der Rand extrem breit und hoch aufgegangen, außen mit Brandblasen, innen leider nicht ganz durchgebacken. Der Belag muss sich so im Zentrum zusammendrängen.

Statt Messer und Gabel wird nu eine Schneiderschere als Besteck gebracht.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Rote-Rüben-Creme ist angenehm pikant, bekommt winterblasse Feigen (als Statement zu Klimaverantwortung und Nachhaltigkeit?), reichlich Mozzarella und Gorgonzola sowie Pinienkerne und Basilikumblätter mit auf den Weg. In der vegetarischen Variante ist das keine schlechte Kombination. Ein bisserl schwierig zu essen halt, weil statt Messer und Gabel nur eine Schneiderschere als Besteck gebracht wird.

Bei einer klassisch dünnen Margherita könnte das charmant sein – hier aber drängen sich die Toppings dicht in der Mitte und purzeln beim Versuch, den weichen Lappen mit der Hand zum Mund zu führen, unweigerlich herunter. Besteck gibt es auf Nachfrage.

Veganer bekommen statt Käse das Ersatzprodukt – schmeckt wie extradick angerührte Margarine-Béchamel mit sehr gewöhnungsbedürftigen Suppenwürfel-Socken-Aromen.

Pizza klein, Bier groß

Die Variante mit Süßkartoffelbrei, Paradeisern und gegrilltem Gemüse ist vergleichsweise am attraktivsten, da wurde der Fairness halber nur jene mit echter Mozzarella verkostet. Zu all dem gibt es Heineken.

Nachdem hier fast alles radikal anders gemacht wird als in traditionellen Pizzerien, passt das Getränk des Großkonzerns auch ins Konzept. Schließlich gehen Pizzawirte in Italien meist weite Wege, um ihren Gästen zur Pizza richtig rare Biere von vorzugsweise bayerischen Privatbrauereien zu zapfen. (Severin Corti, RONDO, 15.4.2022)

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