Man müsse den Sommer nutzen. Sich auf den Herbst vorbereiten. Diesmal wirklich. Das wiederholen Politikerinnen und Politiker gebetsmühlenartig – wohl wissend, dass das in den letzten Jahren verabsäumt wurde. Was genau die Floskel bedeutet und wie das heuer gelingen soll, bleibt offen.

Während die Regierung zwar gerne betonte, auf Fachleute aus der Wissenschaft hören zu wollen, benutzte sie Kommissionen vor allem, um politische Entscheidungen zu rechtfertigen, statt deren Empfehlungen umzusetzen. Das macht ein zentrales Problem deutlich: Österreich ist wissenschaftsfeindlich. In einer Umfrage ist Österreich im EU-Vergleich fast Schlusslicht, wenn es um Interesse an und Vertrauen in Wissenschaft geht.

Die Maskenpflicht fällt wieder einmal.
Foto: Veronika Huber

Daran trägt auch die Politik Schuld, indem sie bereits lange vor der Pandemie Empfehlungen der Wissenschaft allzu oft ignoriert hat. Wir müssen endlich darüber reden, was Wissenschaft leisten kann – und was eben nicht. Fachleute können beraten, mit welchen Maßnahmen ein Ziel am besten erreicht wird. Das machen sie nicht erst seit dem Auftreten des Coronavirus zuverlässig. Sie können der Politik aber nicht Entscheidungen zur Zielsetzung abnehmen. Das müssen die Verantwortlichen – wenn auch gerne mit Einbeziehung von wissenschaftlichen Erkenntnissen – schon selbst machen. Das tun sie zu wenig.

Die Regierung darf sich nicht wieder auf dem Vorteil der Sommermonate ausruhen – zumal dieser heuer schwächer ausfallen dürfte. Während 2021 viel mehr Menschen als jetzt geimpft wurden, nimmt diesen Sommer die Immunität im Land ab. Zudem sind die Omikron-Varianten deutlich ansteckender als jene im vergangenen Jahr. Und: Die nächste Variante kommt bestimmt.

Vorsicht im Sinne der Gesellschaft

Umso wichtiger wäre jetzt ein Plan, der über Änderungen der Maskenpflicht und die Verlängerung des grünen Passes hinausgeht. Und dafür braucht es ein Ziel: Wo wollen wir hin? Das geht unweigerlich mit der Frage einher: Was sind wir bereit zu opfern? Die traurige Wahrheit ist, dass wohl noch lange täglich Menschen an Corona sterben werden. Es wird Zeit, endlich langfristig zu denken. Ob das Ziel nun durch ein Wiederaufleben der Impfpflicht, eine flächendeckende Maskenpflicht oder etwas völlig anderes erreicht wird – wir brauchen eine Strategie.

Die Lösung kann jedenfalls kein ständiger Wechsel zwischen Lockdowns, Öffnungen und Lockdowns light sein. Es braucht Stabilität und zumindest mittelfristige Maßnahmen. Und zwar solche, die eine möglichst große Schnittmenge von Faktoren berücksichtigen: Long Covid, Interessen und Rechte von vulnerablen Gruppen und ihren Angehörigen, Personal der kritischen Infrastruktur usw. Das ist nicht Panikmache, sondern Vorsicht im Sinne der Gesellschaft.

Amerikanische Wissenschafter und Wissenschafterinnen schlagen als Ziel etwa vor, die Zahl der Covid-Toten geringer zu halten als die Zahl der Verstorbenen während der schlimmsten Grippewelle der letzten Dekade. Künftig werden wir also Maßnahmen gegen Tote aufwiegen müssen. Das ist die ernüchternde, aber nur logische Folge von gesundheitspolitischem Versäumnis – und vor allem eine, die es auszusprechen gilt. Auch oder gerade weil man sich damit Fehler eingesteht. Das – und es jetzt mit Blick auf Herbst endlich besser zu machen – ist das Mindeste, was man der Bevölkerung schuldet.(Magdalena Pötsch, 14.4.2022)