Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) lässt mit Samstag die Masken fallen.

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Die Pandemie ist nicht vorbei – wirklich nicht. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) sagt das stets dazu. Er hatte das gesagt, bevor er die Impfpflicht abblies, und er sagte das, als er die Tests einschränken ließ. Er sagte das auch diese Woche dazu, als er die Maskenpflicht weitgehend abschaffte.

Nur: Gesagtes und Getanes passen da nicht so recht zusammen. Es müssen so wenige Maßnahmen wie möglich und so viele wie nötig sein, auch das wurde mehrfach gesagt. Dennoch keimt der Eindruck auf: Österreich verschläft den Herbst – zum dritten Mal in Folge.

Fragt man Politiker, welche Strategie sie für den Sommer verfolgen, dann kommen da meist eher verwaschene Antworten. Von Szenarien ist da die Rede und von Vorbereitungen, von Strategien und von maßgeschneiderten Kampagnen.

Auch der Gesundheitsminister wurde nicht wirklich konkreter, als er seinen Plan mit Blick auf den Herbst präsentierte. Ja, weitere Wellen seien nicht auszuschließen, meinte er. Je nachdem, welche Variante auf uns zurauscht, müsse man also den Werkzeugkoffer anpassen. Darin liegen laut Minister: Impfungen, Teststrategien, Contact-Tracing und Arzneimittel – Werkzeuge also, die mittlerweile wohlbekannt sind – und trotz derer seit dem letzten Herbst 5000 Menschen an oder mit Corona gestorben sind.

Wenn das nicht reicht, wie muss dann eine wirklich gute Strategie für den Herbst aussehen? Und vor allem: Wie kann es Rauch, wie kann es der Regierung gelingen, die Menschen in Österreich jemals wieder auf ihre Seite zu bringen?

Impfen, und zwar gescheit

Da gibt es die epidemiologische Seite. Auf der geht es tatsächlich um Szenarien, auch wenn das aus dem Mund von Politikern verwaschen klingt. Herwig Kollaritsch, Mitglied im Nationalen Impfgremium, sieht da zwei Möglichkeiten.

Die erste: eine Omikron-Welle im Herbst. "Dann sind wir relativ gut dran." Denn viele, die Omikron bereits hatten, seien dann zumindest noch ein bisschen immun. Sie und auch jene, die geimpft sind, wird man in Frühherbst erneut impfen müssen. Die zweite Möglichkeit: eine andere Variante. Was dann? "Ich habe keine Ahnung, die hat niemand", sagt Kollaritsch.

Nur: So oder so müsste sich die Politik nun überlegen, wie sie eine Impfkampagne anlege. Das beginne bei der Impfstoffbeschaffung, gehe über den Aufbau von Impfstraßen, die Einbindung von Ländern und von Ärzten und Ärztinnen bis hin zu personalisierten Informationsschreiben. Auch die Impfpflicht ist noch nicht vom Tisch, die zuständige Kommission – der Kollaritsch angehört – wird Ende Mai neuerlich einschätzen, ob sie brauchbar und notwendig ist. Vorgreifen will Kollaritsch dem freilich nicht.

Davon, dass sich junge, gesunde Menschen, wie in Wien nun möglich, schon nach sechs Monaten – in vielen Fällen also demnächst – den vierten Stich holen, rät Kollaritsch übrigens ab. Damit verschenke man "wertvollen Schutz für den Herbst".

DER STANDARD

Abgesehen davon gelte es nun, das Gesundheitssystem fit zu machen – beim Personal, in der Ausrüstung, bei den Betten. Und: "Man muss nüchtern und klar sagen: Wenn wir an unsere Grenzen stoßen, dann wird es wieder eine Maskenpflicht geben, wird die Nachtgastro schließen oder auch ein Lockdown drohen." Nur eines dürfe die Politik diesen Sommer nicht machen: zu lange warten. "In den vergangenen zwei Jahren haben wir einstimmig gesagt, wir sollten uns auf den Herbst vorbereiten, und dann war er auf einmal da. Da haben wir viel liegengelassen", sagt er.

Koalitionsklima bewahren

Das ist die wissenschaftliche Seite. Die andere ist die politische. Rauchs erklärtes Ziel ist es, Vertrauen wieder herzustellen, das betont er seit dem Amtsantritt. Damit das gelingt, sagt Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle, dürfe er einen Fehler – von ihm selbst und seinen Vorgängern – nicht wiederholen: "Maßnahmen anzukündigen, die nicht umsetzbar waren, verschoben wurden oder wo danach Konsequenzen daherkamen, die man nicht mitbedacht hat". So geschehen bei der Impfpflicht, beim Testchaos und auch bei der Quarantäne. Das sei "zermürbend", sagt Stainer-Hämmerle, genauso wie der Verdacht, dass der Sommer erneut verschlafen werde.

Bis sich die Lage aller Voraussicht nach wieder zuspitzt, empfiehlt die Politologin dem Minister, gar nicht so sehr zu kommunizieren, sondern tatsächlich zu handeln – und rechtzeitig Behörden, Bundesländer und Interessenvertreter zu koordinieren. "Sie dürfen nicht im September anfangen zu diskutieren. Sie haben bis September Zeit zu diskutieren. Dann muss es schnell gehen", sagt Stainer-Hämmerle.

Um die ÖVP ist es übrigens erstaunlich still geworden, wenn es um die Pandemiebekämpfung geht. Während Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gerade bei guten Nachrichten stets der Erste vor den Kameras war, hält sich sein Nachnachfolger zurück, ebenso andere Regierungsmitglieder.

Mit einer Ausnahme: Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP). Sie sollte sich, so sieht das die Politologin, mit ihren Spitzen gegen den Gesundheitsminister schleunigst zurückhalten. Denn: "Einen vierten Gesundheitsminister werden die Grünen nicht mehr stellen können. Dann platzt diese Regierung." (Gabriele Scherndl, 17.4.2022)