Diese Zensuren bereiten der Politik mehr Kopfzerbrechen als den Prüflingen: Ab Mittwoch finden in Österreich wieder einmal die sogenannten Pisa-Tests statt. Wie in weltweit insgesamt 80 Staaten werden auf Betreiben der OECD auch hierzulande Schülerinnen und Schüler – es sind rund 9.100 an 320 Schulen – darauf getestet, wie es um ihre Fähigkeiten in Mathematik, Lesen, Naturwissenschaften und erstmals Finanzkompetenz steht. Die Erfahrung zeigt: Spitzenplätze darf sich die Republik nicht erwarten.

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Wer weiß es? Österreichs Schülerinnen und Schüler konnten bei den bisherigen Vergleichen nicht wirklich aufzeigen – zuletzt war es ein Platz im Mittelfeld.
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Doch nicht alle Fachleute sehen darin einen Grund zur Sorge. Die Ergebnisse des Pisa-Tests sagten weder etwas über die Schülerinnen und Schüler noch etwas über die Qualität des Schulsystems aus, urteilt der Bildungsforscher Stefan Hopmann im Gespräch mit dem STANDARD ebenso hart wie im Ö1-Morgenjournal. Der riesige Aufwand laufe auf hinausgeschmissenes Geld hinaus.

Verdacht der politischen Agenda

Als "statistisches Voodoo" bezeichnet der Wissenschafter von der Uni Wien jene Rankings, die den teilnehmenden Ländern mehr oder weniger Erfolg attestieren. Viel zu verschieden seien die schulischen Kulturen, um einen seriösen Vergleich bieten zu können, sagt Hopmann und sieht sich im Einklang mit anderen Kritikern wie dem in den USA ansässigen Bildungsforscher Yong Zhao. In manchen Ländern gebe es in der Mathematik etwa eine starke Tradition in der Geometrie, in anderen hingegen in der Statistik oder anderen Bereichen. Ein in zwei Stunden zu absolvierender Test könne aber nie alle Aspekte eines Faches abdecken. Die Schulen der Topstaaten entsprächen lediglich am besten den Pisa-Vorgaben – das heiße keinesfalls, dass dort die beste Bildung geboten werde.

Also alles nur Zufall, der von willkürlichen Kriterien abhängt? Da widerspricht Hopmann, denn hinter dem Projekt stecke eine klare politische Agenda: "Der Pisa-Test ist der ideologische Prügelstock, um Druck in Richtung eines wirtschaftsfreundlichen Bildungssystems zu machen." Für bezeichnend hält er etwa ein Beispiel aus den aktuellen Rechenaufgaben, wo es um ein Mädchen gehe, das für ein späteres Studium spare. Für 80 Prozent der Familien stelle sich so eine Frage nicht, weil sie dafür nie genug Geld beiseitelegen könnten, ärgert sich Hopmann. Die Botschaft hinter dieser "Luxus-Schwabbelei" sei eindeutig: Wer sich brav anstrenge, könne am Kapitalismus teilhaben.

Strenges Aussieben

Günter Haider kann eine solche Schlagseite nicht erkennen. Bei keinem vergleichbaren Projekt gebe es ein ähnlich strenges Qualitätsmanagement, sagt der Bildungsforscher, der sich als jahrelanger Leiter der Studie in Österreich einen Namen als "Mister Pisa" gemacht hat. Auch heimische Spitzenwissenschafter würden bei der Konzeption eingebunden. Dass der Filter eng sei, zeigten jene Feldtests, bei denen die Fragen vorab ausprobiert werden. Die Hälfte der Aufgaben werde danach gestrichen, sagt Haider.

Allein auf Länderrankings solle man sich nicht versteifen, fügt der Experte an. Doch die umfangreichen Pisa-Berichte seien tolle Quelle für viele Details – etwa wenn es um die Unterschiede zwischen den Geschlechtern gehe. "Vor dem Jahr 2000 haben alle geglaubt, wir sind Weltmeister", sagt er, "doch Pisa hat uns gezeigt, dass es ein Leseproblem bei den Buben gibt." Das Gleiche gelte für die Erkenntnis, dass sozioökonomische Nachteile hierzulande stark ins Gewicht fallen – "was uns die OECD regelmäßig unter die Nase reibt".

Doch auch dieser Aspekt sorgt für Zwiespalt. Weil sich Formulierung und Konstruktion der Aufgaben an den bildungsbürgerlichen Schichten orientierten, seien diese umso mehr im Vorteil, sagt Hopmann – womit die Ausrichtung des Unterrichts an Pisa erst recht die soziale Kluft vergrößere. Haiders Konter: Die Kritik sei legitim – wenn sie denn fundiert sei. Hopmann solle Sprachanalysen oder andere Daten zu seiner These vorlegen: "Eine persönliche Meinung allein ist etwas wenig."

Österreich im OECD-Schnitt

Die Pisa-Tests werden normalerweise alle drei Jahre durchgeführt, der Durchgang 2021 musste wegen Corona aber um ein Jahr verschoben werden. Zuletzt lagen Österreichs Schülerinnen und Schüler 2018 beim Lesen – zuletzt Schwerpunktthema – wie beim Thema Naturwissenschaften im OECD-Schnitt. Im Bereich Mathematik schnitten sie leicht überdurchschnittlich ab. Im Europa-Vergleich ragten etwa Estland und Finnland heraus.

So sah es 2018 aus.

Diesmal liegt der Hauptfokus des Pisa-Tests auf Mathematik, die Bearbeitung erfolgt wieder am Computer. Als optionales Thema kann sich jedes teilnehmende Land eine vierte Kategorie aussuchen: In Österreich werden erstmals auch Fragen zur Finanzkompetenz gestellt. Hier wird abgefragt, ob die Jugendlichen Fragen zu täglichen finanziellen Ausgaben verstehen und berechnen können. Zinssätze sollen ebenso Thema der Fragestellungen sein wie Kosten für Mobilfunkverträge.

Die aktuelle Pisa-Test-Runde in Österreich läuft bis Ende Mai. Abgewickelt wird der Test über das Institut des Bundes für Qualitätssicherung im österreichischen Schulwesen (IQS), dieses ist im Bildungsministerium angesiedelt. Ein Sprecher sagte, dass etwa jeder zehnte Schüler des betroffenen Jahrgangs an den Pisa-Tests teilnehme.

Mehr Testteilnehmer als in Deutschland

Im deutlich größeren Deutschland nehmen hingegen nur rund 7.700 Schülerinnen und Schüler teil, das sind sogar in absoluten Zahlen weniger als die 9.100 Teilnehmer in Österreich. Laut IQS gibt die OECD eine Mindeststichprobengröße vor – unabhängig von der Größe des Landes. Dass in Österreich mehr Schüler getestet werden als in Deutschland, liege am optionalen Themenbereich Finanzkompetenz.

Der Kritik von Hopmann entgegnete das IQS in einer Stellungnahme zum STANDARD, dass die Pisa-Ergebnisse ermöglichen würden, "gezielt Vergleiche anzustellen, voneinander zu lernen sowie Best-Practice-Beispiele ableiten zu können". Hopmann habe zudem in der Vergangenheit die Pisa-Studie an sich nicht infrage gestellt und etwa 2010 gemeint, diese sei technisch "großartig gemacht".

Nach der Absolvierung der aktuellen Tests braucht die interessierte Öffentlichkeit noch einige Geduld: Die Ergebnisse sollen im Dezember 2023 präsentiert werden. (Gerald John, David Krutzler, 20.4.2022)