Das Land würde dadurch weniger empfindlich gegen wirtschaftliche und finanzielle Waffen, die der Westen gegen Russland eingesetzt hat, sagt der Politologe Minxin Pei im Gastkommentar.

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Fahrerlose Fahrzeuge im Containerhafen Qingdao in der Provinz Shandong.
Foto: AP / Chinatopix

Russlands grundloser Krieg gegen die Ukraine hat die Aufteilung der Welt in zwei Blöcke beschleunigt: in Demokratien und Autokratien. Dies wiederum hat die Gefahren verdeutlicht, die in der wirtschaftlichen Abhängigkeit zwischen Ländern mit gegensätzlichen Ideologien und Sicherheitsinteressen bestehen. Und obwohl der bevorstehende Deglobalisierungsprozess allen schadet, wird China dabei am stärksten verlieren.

Größter Exporteur

Natürlich hat sich China bereits vor der russischen Invasion in der Ukraine teilweise von den Vereinigten Staaten abgekoppelt. Und es hat versucht, seine Abhängigkeit von US-amerikanischen Märkten und Technologien zu verringern und so zu gewährleisten, dass dieser Prozess zu seinen eigenen Bedingungen stattfindet. Dazu hat das Land 2020 seine "Strategie der zwei Kreisläufe" vorgestellt, mit der es seine Binnennachfrage und technologische Eigenständigkeit fördern will.

Aber trotzdem war China zuletzt immer noch der weltweit größte Exporteur: Im letzten Jahr hat das Land Waren im Wert von 3,3 Billionen US-Dollar in alle Welt geliefert, wobei die USA an erster Stelle standen. Das Handelsvolumen gegenüber der Europäischen Union stieg auf 828 Milliarden US-Dollar, obwohl ein kontroverses Investitionsabkommen zwischen der EU und China nicht zustande kam, da es Unstimmigkeiten über Menschenrechte gab.

Stärkere Abkopplung

Voraussetzung für die Verhandlungen zu diesem Abkommen war, dass Europa im sino-amerikanischen Kalten Krieg seine strategische Neutralität bewahren würde, um die wirtschaftlichen Vorteile seines Engagements mit China nutzen zu können. Aber wenn menschenrechtliche Bedenken ausgereicht haben, das EU-Parlament von einer Einigung abzuhalten, wird Russlands Krieg gegen die Ukraine – den China schweigend unterstützt und der die USA und die EU enger zusammengebracht hat – die EU wahrscheinlich zu einer stärkeren wirtschaftlichen Abkopplung von China veranlassen.

Dass die westlichen Demokratien und ihre autokratischen Gegner ihre Sicherheit über den wirtschaftlichen Wohlstand stellen, kann man ihnen nicht verübeln. Aber sie müssen auch die Folgen in Kauf nehmen. Und für eine Autokratie mittleren Einkommens wie China wird dies viel teurer als für reiche Demokratien wie die USA und ihre europäischen Verbündeten.

Weniger Marktzugang

Zunächst einmal wird China darunter leiden, dass es fortan weniger Zugang zu den großen westlichen Märkten hat. 2021 belief sich der Wert der Exporte chinesischer Produkte in die USA, in die EU und nach Japan – auf die 38 Prozent der Gesamtexporte fallen – auf fast 1,3 Billionen US-Dollar. Sollte sich Chinas Zugang zu diesen drei Wirtschaftsräumen im nächsten Jahrzehnt halbieren – was ein wahrscheinliches Szenario ist – braucht das Land andere Märkte.

Hier scheint China keine guten Möglichkeiten zu haben. Seine Strategie der zwei Kreisläufe deutet darauf hin, dass nicht einmal die Führungsspitze des Landes erwartet, diese Einbußen durch andere externe Märkte kompensieren zu können. Aber auch Chinas offensichtlicher Glauben, die Inlandsnachfrage könne diese Lücke füllen, scheint ziemlich abwegig.

"Ein erheblicher Teil der chinesischen Infrastruktur wird schwächer ausgelastet sein oder gar überflüssig werden."

Hohe Verschuldung, schnelle Alterung der Bevölkerung und ein implodierender Immobiliensektor werden das BIP-Wachstum weiterhin bremsen, während gleichzeitig die Verbrauchernachfrage durch starke Einkommensungleichheit, explodierende Wohnkosten und mangelnden sozialen Schutz behindert wird. Dass Fabriken für Exportgüter geschlossen werden und damit Arbeitsplätze verlorengehen, wird dieses Problem noch verstärken. Ein erheblicher Teil der chinesischen Infrastruktur – insbesondere der Energie- und Transportnetzwerke – wird schwächer ausgelastet sein oder gar überflüssig werden.

Ausgebremster Tech-Zugang

Neben dem Problem der schrumpfenden Exportmärkte wird China auch seinen Zugang zu den Technologien verlieren, die es braucht, um eine Wissensökonomie aufzubauen. Die US-Sanktionen lähmen bereits jetzt den Telekommunikationsgiganten Huawei – und sie hindern den Halbleiterhersteller SMIC daran, auf Spitzentechnologien zuzugreifen. Sollten die USA die EU und Japan davon überzeugen können, das Exportkontrollkomitee CoCom wiederzubeleben, um Technologiezuflüsse nach China abzuwürgen – was durch den Ukraine-Krieg wahrscheinlicher werden könnte – hätte China kaum eine Chance, den technologischen Wettlauf gegen die USA zu gewinnen.

Weniger Innovationen

Der dritte entscheidende Nachteil der Deglobalisierung für China ist schwerer messbar, könnte sich aber als der gravierendste erweisen: sinkende Effizienzgewinne aus dynamischem Wettbewerb. In China hergestellte und verkaufte Waren sind heute viel hochwertiger als noch vor zwei Jahrzehnten – insbesondere deshalb, weil die chinesischen Unternehmen mit ihren westlichen Rivalen konkurrieren müssen. Fällt dieser Druck weg, müssen sie keine höhere Qualität zu niedrigeren Preisen mehr liefern. Dies wird Innovationen behindern und den Verbrauchern schaden.

All diese Nachteile könnten erträglich sein, wenn die wirtschaftliche Entkopplung China tatsächlich sicherer machen würde. Und auf den ersten Blick scheint dies sogar der Fall zu sein, da das Land dadurch weniger empfindlich gegen die Art wirtschaftlicher und finanzieller Waffen wird, die der Westen gegen Russland eingesetzt hat. Allerdings wird im Zuge der abnehmenden wirtschaftlichen Macht des Landes auch seine Stellung auf der globalen Bühne schwinden – und der innenpolitische Status der Kommunistischen Partei.

Kein Vorbild: Mao

Vor sieben Jahrzehnten setzte Mao Zedong auf wirtschaftliche Autarkie und außenpolitische Militanz, was China zu einem verarmten und geächteten Staat machte. Dies ist für Präsident Xi Jinping eine deutliche Warnung: Sollte er es Russland, Chinas "grenzenlosem" strategischem Partner, erlauben, mit seinem Krieg gegen die Ukraine die Welt zu spalten, wird sein eigenes Land den höchsten Preis dafür zahlen müssen. (Minxin Pei, Übersetzung: Harald Eckhoff, Copyright: Project Syndicate, 22.4.2022)