Der Pädagoge Michael Himmelsbach kritisiert in seinem Gastkommentar die schriftliche Mathematikmatura.

Als ich am Dienstag in der Früh in die Schule gefahren bin, lief im Radio ein Beitrag über das "Angstfach" Mathematik. Wie bei ähnlichen Beiträgen, die ja regelmäßig im Zeitraum der schriftlichen Reifeprüfung (SRP) auftreten, wurde die große Furcht vorm Mathematikunterricht im Allgemeinen und der Matura im Speziellen ausgedrückt – und das mit kurzweiligen Schulanekdoten untermauert.

Ist Mathematik wirklich zum Fürchten? Wenn ja: Wie kann man das ändern?
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Die Beispiele aus der am Dienstag durchgeführten SRP im Prüfungsfach Mathematik leisteten meines Erachtens in jedem Fall einen gehörigen Beitrag, wenn nicht schon die Furcht, dann zumindest die Abneigung gegen das Fach zu verstärken. Die gestellten Aufgaben, die das Wissen von mathematischen Definitionen abprüfen (Aufgabe 7), zahlreiche Aufgaben, die weder einen innermathematischen (Aufgabe 5, Aufgabe 15) noch lebenspraktischen Bezug herstellen (Aufgabe 11, Aufgabe 16), trockene (Aufgabe 6), langweilige, aber dafür gefinkelt formulierte und blasse Beispiele (Aufgaben 2, 3 und 16), führen sicherlich nicht dazu, dass das Interesse bei den Absolventinnen und Absolventen der 8. Klasse am Fach gesteigert wird, und auch sicher nicht dazu, dass die Vorurteile über das Unterrichtsfach Mathematik weniger werden. Speziell der Teil 1 und insbesondere die ersten Aufgaben sind fernab von dem, was die Fachdidaktik Mathematik als gelungene Aufgaben im Sinne einer kognitiven Aktivierung bezeichnen würde.

Keine Beachtung geschenkt

Neben dieser Kritik möchte ich als Klassenvorstand einer 8. Klasse, die jetzt das dritte Schuljahr mit Corona-bedingten Einschränkungen zu kämpfen hatte, anmerken, dass diese Beispielauswahl für diese Kohorte eine Zumutung ist. Der verstärkte Einsatz von mehrschrittigen Aufgaben, die oben angesprochene Alltagsferne und zahlreiche neuartige Beispiele im Vergleich zu den vorigen Reifeprüfungen stellen eine nicht nachvollziehbare Hürde gerade am Beginn dieser Klausur für die schwächeren Schülerinnen und Schüler dar. Auch hier wurde lernpsychologischen und fachdidaktischen Grundsätzen – Stichwort Prüfungswarmup – keine Beachtung geschenkt.

Dass die Leistungsstärkeren nicht um ihre guten Zensuren bangen müssen, wie die erste Durchsicht der Arbeiten zeigt, liegt vor allem daran, dass der zweite Teil der schriftlichen Reifeprüfung deutlich anders, nämlich ansprechender war. Die Aufgaben sind gut in einen Kontext eingebettet, abwechslungsreich und variabel gestaltet. Zudem erlaubt die neu eingeführte Best-of-Wertung (von drei ausgewählten Aufgaben fließen die zwei besten in die Wertung ein), dass die Maturantinnen und Maturanten ihr mathematisches Wissen zeigen können, ohne dass ein individuell ungeliebter Kontext zu große Auswirkungen auf das Ergebnis hat.

Es bleibt aber zu befürchten, dass Schülerinnen und Schüler mit Schwierigkeiten im Fach Mathematik zu diesem Zeitpunkt der Klausur bereits verunsichert waren und keinen Blick mehr für die interessanteren Aufgaben hatten. Und es bleibt zu befürchten, dass die Aufgaben bei den nächsten Kohorten, die sich auf ihre Reifeprüfung vorbereiten, ebenfalls wenig Vorfreude auf die Vorbereitung im Fach Mathematik entfachen werden. Es wäre noch Zeit, das zu ändern. (Michael Himmelsbach, 6.5.2022)