Alles wird teurer: Wohnen, Tanken und Heizen, aber auch Brot, Speiseöl, das Notwendigste. Das Leben. Nur Klopapier nicht. Die Teuerung kommt voll bei den Menschen an. Nicht nur bei jenen, die bisher schon in prekären Verhältnissen lebten und sich kaum raussehen, sondern auch in der breiten Mittelschicht, wo sich die Menschen Sorgen machen, wie sich das ausgehen soll. Was nicht bei den Menschen ankommt: die Maßnahmen der Regierung, die helfen sollen, dass das Leben (und nicht der Luxus) leistbar bleibt.

Das Vertrauen in die Politik ist minimal. Das liegt an der Erfahrung, die die Bevölkerung in den letzten Jahren mit den Regierungen – es waren ja mehrere – gemacht hat. Und es hängt natürlich mit der allgemeinen Lage zusammen, die wir ohnedies nicht beeinflussen können: Ein Gefühl der Ohnmacht macht sich breit. Was immer in der Welt gerade passiert, in der Ukraine etwa, mit den konkreten Auswirkungen, die wir sehen können, und den Zusammenhängen, die wir längst nicht mehr verstehen können, überfordert die Menschen.

Nach fünf Monaten im Amt steht Bundeskanzler Karl Nehammer extrem unter Druck.
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Da bräuchte es jetzt eine Person an der Spitze des Staates, die die Probleme sieht, angeht, zupackt.

Wir haben Karl Nehammer.

Der war als Bundeskanzler ein Kompromiss, der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Landeschefs in der ÖVP rasch einigen konnten. Ein braver Verwalter, hoffentlich verlässlich. Als der anfangs nicht von einem Fettnäpfchen ins nächste gehüpft ist und sich wenigstens klar artikulieren konnte, waren die meisten nach dem türkisen Zinnober der letzten Jahre schon zufrieden. Aber jetzt bräuchte es mehr: eine charismatische, innovative, starke und glaubwürdige Persönlichkeit. Das ist Nehammer nicht.

Preisspirale

Nach fünf Monaten im Amt steht er extrem unter Druck: Die Preisspirale trifft fast alle Menschen im Land. Und wer soll Lösungen haben, wenn nicht die Politik? Die Sorge, wie man sich das Leben noch leisten kann, ist überall vorhanden, auch in der Basis der ÖVP. Nehammer spürt das, immerhin. Und dann macht er eben Vorschläge wie jenen, die Gewinne der Energieversorger abzuschöpfen. Diese Forderung könnte – und sollte – eigentlich aus der SPÖ kommen. Erst einmal purzelten die Aktienkurse. Ob der Vorschlag rechtlich überhaupt möglich ist, darüber streiten die Experten.

Aber er ist so logisch wie populistisch: Warum nicht jenen, noch dazu teilstaatlichen Unternehmen einen Teil der Gewinne wieder wegnehmen, die sie aufgrund nicht nachvollziehbarer Regeln des Marktes auf unsere Kosten einstreifen? Es lohnt sich jedenfalls, darüber zu diskutieren.

Dass ein solcher Vorstoß ausgerechnet von einem ÖVP-Kanzler kommt, markiert auch eine gewisse Zeitenwende und spiegelt die dramatische Lage wider, in der wir uns befinden.

Nehammer steht mit dem Rücken zur Wand, nicht nur als Kanzler, sondern auch als ÖVP-Chef: Die Menschen erwarten Lösungen. Dass der Arbeitnehmerflügel eine Gewinnabschöpfung unterstützen und der Wirtschaftsbund sie bekämpfen wird, bringt der ÖVP eine Dynamik, die ihr nicht schaden muss: Dort ist so viel steckengeblieben, da kann jeder Dreh nur guttun. Wenn sich die ÖVP nicht bewegt und ein paar Antworten findet, hat sie die nächste Wahl schon verloren. Vielleicht ist eine Woche vor dem Parteitag ein guter Zeitpunkt, ein paar Dogmen zur Diskussion zu stellen. (Michael Völker, 7.5.2022)