"Wichtig ist hinreichend garantierte Staatsferne": Christoph Grabenwarter, Präsident des Verfassungsgerichtshofs

Foto: APA / Tobias Steinmaurer

Wien – "Offenkundig verfassungswidrig" sei die Zusammensetzung des ORF-Stiftungsrats: Das schloss "ZiB 2"-Anchor Armin Wolf aus einem Beitrag des heutigen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs über das deutsche Rundfunkrecht, in dem er auf eine Entscheidung zum moldawischen Rundfunk verweist. Im Ö1-"Mittagsjournal" erklärte Grabenwarter nun, diese Entscheidung müsse nicht "eins zu eins auf Österreich übertragbar" sein.

"Nicht gesagt, dass eins zu eins übertragbar"

"Herrscht in den Organen eine zu große Mehrheit von Vertretern der Regierungspartei(en), wird Artikel 10 EMRK verletzt", also der Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention über die Freiheit der Meinungsäußerung, schrieb Grabenwarter 2018 im Zusammenhang mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu Moldawiens Rundfunk.

Samstag erklärte Grabenwarter dazu: "Ich habe tatsächlich in einer umfangreicheren Publikation zum deutschen Rundfunkrecht eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu Moldawien zitiert. Jetzt liegt zwar Österreich zwischen Moldawien und Deutschland. Aber es ist damit noch nicht gesagt, dass diese Aussage, die ich dort zitiert habe, eins zu eins auf Österreich übertragbar ist."

Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs fügte auf Nachfrage noch an: "Soweit ich die sozialen Medien mitverfolgt habe, hat sich Dr. Wolf hier mit dem Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts auf hohem Niveau juristisch ausgetauscht und ich habe dem nichts hinzuzufügen."

"Wichtig ist garantierte Staatsferne"

Er könne "konkrete einzelne Vorgänge nicht bewerten", sagte der renommierte Rundfunkrechtler: "Wichtig ist, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk als ein Teil der Medienfreiheit, der besonders prekär ist, dass dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk eine hinreichend garantierte Staatsferne hat. Das ist das Stichwort, unter dem die Diskussion seit Jahrzehnten in Deutschland vor allem läuft."

Die stellvertretende Ö1-Chefredakteurin Gabi Waldner fragte hier nach, ob diese Staatsferne im ORF hinreichend garantiert sei, wenn die ÖVP mit 37,5 Prozent der Stimmen bei der Nationalratswahl im ORF-Stiftungsrat die absolute Mandatsmehrheit habe, zusammen mit Regierungspartner Grüne sogar eine Zweidrittelmehrheit.

Grabenwarter: "Die Vorschrift wurde in dieser Form im Jahr 2001 eingeführt, wurde damals auch bekämpft durch einen Antrag der Wiener Landesregierung. Dieses Vorbringen, das den Stiftungsrat betroffen hat, wurde damals zurückgewiesen. Kann sein, dass das wieder vor den Verfassungsgerichtshof kommt, daher möchte ich mich hier wirklich zurückhalten."

Bundesländer oder ein Drittel der Abgeordneten zum Nationalrat könnten die Regelungen über den Stiftungsrat und seine Besetzung zur Prüfung dem Verfassungsgerichtshof vorlegen.

Wiener Beschwerde zu eng

Wien hat das 2001 getan – allerdings hat der Verfassungsgerichtshof Politeinfluss durch den Besetzungesmodus nicht grundsätzlich inhaltlich geprüft. Wien hatte sich nur über vier der fünf Stellen beschwert, die den Stiftungsrat besetzen – Bundesregierung (neun Mandate), Parteien (sechs Mandate), Bundesländer (neun) und Publikumsrat (sechs), aber nicht den Zentralbetriebrat, der fünf Mandate im Stiftungsrat bestimmt. Hätte der Verfassungsgerichtshof die vier aufgehoben, hätte der Stiftungsrat nur noch aus fünf Betriebsräten bestanden, heißt es sinngemäß in der Entscheidung.

Insgesamt sei die Beschwerde der Stadt Wien zum Stiftungsrat "zu eng gefasst" und daher zurückzuweisen, entschied der Verfassungsgerichtshof im Juni 2003.

Publikumsrat gegen Gesetz

Rundfunkrechtler (und Verwaltungsrichter) Hans Peter Lehofer schrieb zuletzt in einem Blogbeitrag, dass der Publikumsrat gerade nicht gesetzeskonform von Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) beschickt worden sei. Für bestimmte gesellschaftliche Gruppen nicht repräsentative Organisationen hätten zum Zug gekommene Kandidaten vorgeschlagen, teils in Einzelvorschlägen statt wie vom Gesetz gefordert Dreiervorschlägen. (fid, 7.5.2022)