Bernhard Wurzer, Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse, schreibt in seinem Gastkommentar über den andauernden Streit über die Wahlärztinnen und Wahlärzte.

Jeder kennt jemanden, der eine Kassenärztin oder einen Kassenarzt sucht. So einfach könnte man die Lage zusammenfassen. Die Gründe, warum es heute mehr Wahlärztinnen und Wahlärzte als jene mit Kassenvertrag gibt, sind aber deutlich vielfältiger, als es auf den ersten Blick erscheint.

Eines steht fest: Es gibt genügend Ärztinnen und Ärzte in Österreich. Die hohe Ärztedichte ist keine Erfindung der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), sondern der Befund der OECD. Dennoch kann es in manchen Regionen oder bei einzelnen Fachrichtungen schwierig sein, im nächsten Umfeld eine Ärztin oder einen Arzt finden, und das möglichst ohne lange Wartezeiten.

Wie tun mit den Wahlärztesystem. Braucht es hier neue Modelle?
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Es ist unser klares Ziel, das bewährte Vertragsarztsystem weiterzuentwickeln. Denn Medizin befindet sich im stetigen Wandel, und auch der Arztberuf ist mit dem von vor 60 Jahren nicht mehr vergleichbar. Die Zeit der Einzelordinationen ist vorbei, die Nachfrage danach wird immer weniger. Ein starres System kann daher nicht die Antwort auf die neuen Herausforderungen sein. Wir haben daher die Möglichkeit geschaffen, auch außerhalb eines Krankenhauses in Teams zu arbeiten – sogar gemeinsam mit anderen Gesundheitsberufen.

Ob Gruppenpraxis, Primärversorgungseinheit oder Ambulatorium, das sind Modelle, die sowohl den modernen Arbeitsvorstellungen von Medizinerinnen und Medizinern entgegenkommen als auch den Bedürfnissen der Patientenschaft. Denn erweiterte Öffnungszeiten und ein zusätzliches therapeutisches Angebot wie Physiotherapie oder Psychotherapie werden immer wichtiger für die Versicherten. Der nächste logische Schritt ist, bei der Gründung einer Praxis Hilfestellungen anzubieten, damit unsere Ärztinnen und Ärzte weniger unternehmerisch tätig sein müssen und sich stattdessen ganz der Medizin widmen können.

Keine Lückenfüller

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Wahlärztinnen und Wahlärzte rapide gestiegen. Der Grund dafür ist auch das Krankenanstaltenarbeitszeitgesetz, das seit 2015 die maximale Arbeitszeit von Spitalsärztinnen und Spitalsärzten auf 48 Stunden pro Woche beschränkt.

Wahlärztinnen und Wahlärzte sind für die ÖGK keine Lückenfüller, sondern ein wichtiges zusätzliches Angebot. Ihre hohe Anzahl sagt aber nichts über ihre Versorgungswirksamkeit, also wie viele Patientinnen und Patienten sie tatsächlich betreuen, aus. Denn im Unterschied zu Kassenärztinnen und Kassenärzten müssen sie keine Mindestöffnungszeiten anbieten. Sie können ihre Ordination nur wenige Stunden in der Woche öffnen, auch bei den Honoraren gelten keine Höchstgrenzen. Das Gesetz sieht daher vor, dass Versicherte ihre Wahlarztkostenrechnung einreichen können und 80 Prozent des Kassentarifs zurückerhalten. Ein Verbot des Wahlarztsystems würde vor allem die Rechte der Patientenschaft beschneiden.

Attraktiver gestalten

Doch die ÖGK kann auch als größter Versicherungsträger und Vertragspartner die Gegebenheiten nicht alleine ändern oder gar bekämpfen. Hier sind die Universitäten und Krankenhausträger gefragt. Gibt es zu wenige Absolventinnen und Absolventen in bestimmten Fachgebieten wie Kinderheilkunde, helfen auch die besten Verträge nicht, alle Stellen lückenlos zu besetzen. Es müssen mehr Ausbildungsplätze geschaffen und auch die Ausbildung muss für diese Fächer attraktiver gestaltet werden. Fehlt einer Gemeinde ein Arzt, wird die Verantwortung schnell abgeschoben: Reflexartig werden Kassenverträge schlechtgeredet und als Grund vorgeschoben. Ob für Ärztekammer oder Politik, die ÖGK ist das Feindbild Nummer eins. Doch Honorarabschlüsse werden gemeinsam mit der Ärztekammer verhandelt und von ihr abgesegnet; und Politikerinnen und Politiker sind in den höchsten Steuerungsgremien der Gesundheitspolitik vertreten. Wollen sie also ein Umdenken erzielen, sollen sie auch die Vorteile eines Kassenvertrags hervorstreichen.

Die ÖGK zahlt pünktlich, bietet Hilfestellungen in Krisenzeiten und ist ein verlässlicher Partner, der sich auf die Bedürfnisse der Ärzteschaft einstellt. Denn nach wie vor zählt der Arztberuf zu den erfüllenden Berufen, Krisensicherheit und sehr gutes Einkommen miteingeschlossen. (Bernhard Wurzer, 11.5.2022)