Plötzlich hört man sich sagen: "Ich gelobe." Und wenig später kritzeln auf dem Tisch neben dem Bundespräsidenten – je nach psychischer Verfassung – ruhige oder leicht zittrige Finger die Unterschrift auf das offizielle Ernennungspapier, das einen nun als Ministerin oder Minister ausweist. Doch was passiert dann?

Maria Rauch-Kallat (Mitte) war Ministerin unter Rot-Schwarz und Schwarz-Blau – Thomas Klestil auch 2003 not amused.
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"Ich habe nächtelang gelesen, gelesen, gelesen, um mich einzuarbeiten. Tagsüber habe ich permanent Gespräche geführt", erinnert sich die ehemalige Familien- und Umweltministerin der ÖVP, Maria Rauch-Kallat, an das Jahr 1992. Als Pädagogin habe sie zwar einen inhaltlichen Background und auch klare Vorstellungen für den Familien- und Jugendsektor mitgebracht, "aber in den Umweltbereich bin ich am Anfang fast ein wenig naiv hineingegangen. Ich dachte mir: Die Natur und Umwelt erhalten ist eine schöne Aufgabe." Dann aber sei sie mit Themen wie Abwasser- und Müllentsorgung sowie Verpackungsverordnung aufgewacht. Das habe eigentlich 80 Prozent der Arbeit eingenommen. Sie habe sich in diesem Themenbereich "firm gemacht, um nicht alleine von der Beamtenschaft abhängig zu sein".

Ein Schlüsselerlebnis

Ein Schlüsselerlebnis: Bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt als Umweltministerin habe ein Beamter die Rede geschrieben und dabei seine Vorstellungen zu Papier gebracht, die nicht unbedingt jenen der Regierung, der Landeshauptleute und der Partei entsprachen. Was zu einigen Irritationen geführt habe.

Dazu müsse man wissen: Die Beamten im Umweltministerium seien "eher grün" gewesen, das Frauenressort "rot bis in die Knochen" und auch die Gesundheit eher von SPÖ-nahen Beamten dominiert. "Ich musste mir Anerkennung erarbeiten, aber wir haben relativ rasch eine gute Beziehung aufgebaut, und ich konnte mich schließlich auf eine loyale Beamtenschaft verlassen", sagt Rauch-Kallat.

Es habe jedenfalls gut drei Monate gedauert, bis sie das Gefühl gehabt habe, einigermaßen angekommen zu sein. "Politik kann man nicht studieren, man kann zwar studieren, wie andere Politik machen, aber es selbst zu machen, ist wieder eine ganz andere Herausforderung." Politik habe viel mit Diplomatie, mit Verstehen von anderen Meinungen, "auch mit sozialer Intelligenz und hoher Resilienz" zu tun. "Und mit einem sorgsamen Umgang mit der Macht", sagt sie.

Zwei Welten

Zwei Welten seien da "aufeinandergeprallt", sagt Beatrix Karl. Jene, die sie aus der Wissenschaft kannte, und die der Politik. Bis Karl bei der Nationalratswahl 2006 mit der ÖVP ins Parlament einzog, werkte sie an der Uni Graz. 2010 wurde sie Wissenschaftsministerin. Die größte Umstellung: "Aus der Wissenschaft kommend, war ich es gewohnt, die Vor- und Nachteile einer Entscheidung abzuwägen und verschiedene Varianten durchzudenken", sagt Karl. In der Politik muss es schnell gehen. "Da geht Qualität verloren."

Beatrix Karl humpelte 2010 in die Hofburg und sagte, besser vorher ausrutschen als im Amt.
Foto: Christian Fischer

2011 musste sie den Einarbeitungs- und Kennenlernprozess erneut durchlaufen. Nach dem Rücktritt von Josef Pröll wechselte sie ins Justizressort. "Die Ressorts sind inhaltlich so unterschiedlich. Das Justizministerium ist viel tagesaktueller als das Wissenschaftsressort. Das kann man nicht vergleichen"

100 Tage Schonfrist

Wie lange es dauert, bis man sich eingearbeitet hat? "Die berühmten 100 Tage bräuchte man schon", sagt Karl. Am Anfang sei alles "irrsinnig viel". Und: "Man beginnt ja nicht bei null. Es liegen bestimmte Themen auf dem Tisch. Manche sind am Anfang, in der Mitte, manche kurz vor dem Abschluss." Als Ministerin sei man "sehr auf die Beamten im Haus angewiesen", sagt Karl. Sie kennen Abläufe und Prozesse und warum etwas so ist, wie es ist, oder warum etwas nicht umgesetzt wurde".

Jörg Leichtfried schüttelte 2016 noch die Hand von Heinz Fischer.
Foto: Matthias Cremer

Das sieht auch der frühere SPÖ-Infrastrukturminister Jörg Leichtfried so. "Du brauchst ein loyales, enges Team, auf das du dich verlassen kannst, und vor allem auch Erfahrungen auf dem Wiener Parlamentsparkett. Sonst wird nie was draus", sagt Leichtfried, heute SPÖ-Vizeklubchef. Er habe bei der Angelobung 2016 "zum Glück" schon Erfahrungen in seinem Fachbereich, dem Verkehr, gesammelt gehabt. "Wenn du keine Fachkenntnisse hast, bist du eine Zeitlang fremdgesteuert von den Beamten", sagt Leichtfried. Er schätzt, dass es länger dauert, bis man als Minister Fuß fasst: "Ich denke schon, dass es zumindest ein halbes Jahr dauert, bis es ins Laufen kommt. Wenn man von den Prozessen keine Ahnung hat, als quer einsteigt, wird es umso schwieriger und dauert noch länger."

Schnell drin?

Es gebe Dinge, "wo man schnell drinnen ist", sagt auch der ehemalige Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle. Es "gibt immer Ministerinnen, die Fachleute sind, die in der Materie ohnehin drinnen sind, aber man hat im Kabinett sowie in der Beamtenschaft Mitarbeiter, die ei nen präzise und gut informieren. Das geht eigentlich schnell", findet der Ex-ÖVP-Abgeordnete. Er selbst war vor seiner Berufung als Minister Rektor der Uni Innsbruck: "Ich kannte das Getriebe der Wissenschaftspolitik schon einigermaßen, es war mir kein völlig fremdes Feld." Dass er die Seite gewechselt hat, vom Fordernden zum Umsetzer, will er nicht akzeptieren. Er sei auch als Minister "auf der Seite der Wissenschaft" gestanden.

Karlheinz Töchterle 2011 wurde ebenfalls von Fischer angelobt.
Foto: Heribert Corn

Allerdings habe er den neuen Job etwas falsch eingeschätzt: "Man täuscht sich, wenn man denkt, dass man als Minister alles neu und grundsätzlich anders machen kann." Denn man sei immer an Sachzwänge – gerade in der großen Koalition – gebunden. "Was mir schon fremd war, war, wie die Politik funktioniert. Das war mir auch befremdlich", sagt Töchterle.

Zumindest vier Monate, darunter geht es gar nicht, ist auch der ehemalige FPÖ-Verteidigungsminister Mario Kunasek überzeugt. Es brauche etliche Monate, um sozusagen "auf Stand" zu sein. Auch wenn es bei ihm leichter gefallen sei, zumal er aus der Beamtenschaft komme, benötige es viel Zeit, sich in der Beamtenbürokratie und den Ministerien zurechtzufinden. "Ich bewundere jeden, der glaubt, das in kurzer Zeit schaffen zu können." Es beginne "bei banalen Dingen". Wenn jemand etwa nicht aus dem Militärbereich kommt, muss er erst einmal die ganzen Abzeichen, die Dienstgrade lernen. "Man muss schließlich wissen, wem man gegenübersteht."

Mario Kunasek (links) fiel 2017 schon in Van der Bellens Ära.
Foto: ROLAND SCHLAGER

Er habe sich bemüht, vom ersten Monat an – nachdem er im Dezember 2017 angetreten war – "gut mit der Beamtenschaft zusammenzuarbeiten", sagt Kunasek. "Aber man muss bedenken, da gibt es Beamte, die schon Jahrzehnte im Apparat arbeiten und sich vielleicht benachteiligt fühlen und dann bei einem Regierungswechsel Morgenluft wittern. Da heißt es vorsichtig sein." (Oona Kroisleitner, Walter Müller, 12.5.2022)