Sie verkleiden sich, ketten sich an, sie lassen sich festnehmen, beklagen öffentlichkeitswirksam ihre schlechte Behandlung durch die Polizei und gewinnen immer mehr Sympathien, auch von unerwarteter Seite. Jene jungen Aktivistinnen und Aktivisten von "Lobau bleibt", die unbedingt verhindern wollen, dass künftig eine Stadtstraße die Lobau durchzieht, könnten, 38 Jahre nach der legendären Besetzung der Hainburger Au, dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig und der Wiener SPÖ einen erneuten Hainburg-Moment bescheren. Und der könnte lange dauern – wenn das rote Wien, vom Bürgermeister abwärts, nicht schnell lernt, mit den jungen Klimaschützern auf Augenhöhe zu kommunizieren.

Der Widerstand gegen die Straße, aber auch die Untertunnelung der Lobau, neben Prater und Wienerwald wohl die wichtigste "grüne Lunge" Wiens, ist für die Fridays-for-Future-Protestierenden mittlerweile zum Symbol ihres Kampfes gegen Klimaerhitzung und für eine Umkehr in der Umweltpolitik geworden. Diese Auseinandersetzung könnte dem Image Michael Ludwigs mehr schaden, als ihm sein einwandfreies Management der Corona-Pandemie genützt hat. Zumindest bei jungen Wählerinnen und Wählern.

Die Lobau ist zu einem Symbol des Kampfes gegen Klimaerhitzung geworden.
Foto: IMAGO/SKATA

"Betoniererpartei"

Da hilft es nicht, juristisch im Recht zu sein und auf seinem Standpunkt zu beharren, weil die Stadt eben Wohnungen braucht und Wohnungen Straßen. Diese Argumentationslinie verfängt bei den Jungen nur bedingt. Vielmehr festigt sie das Image der "Betoniererpartei" und stellt die ansonsten durchaus ambitionierten Anstrengungen der Stadt in Sachen Ausbau des öffentlichen Verkehrs völlig in den Schatten. Hinzu kommt noch, dass auch die Wiener SPÖ-Jugend keineswegs einverstanden ist mit der Vorgangsweise der Altvorderen an der Parteispitze. Hier nimmt ein SPÖ-interner Generationenkonflikt Gestalt an, dem Ludwig leicht die Spitze nehmen könnte, ginge er auf die Protestierenden zu, hörte sich ihre Argumente unvoreingenommen an und holte sie ins Boot. Angesichts immer heftigerer Wetterphänomene, sinkender Grundwasserspiegel und der Austrocknung ganzer Landschaftszonen in Österreich könnte er den jungen Aktivistinnen und Aktivisten zumindest zugestehen, dass sie sich zu Recht um die klimatische Zukunft der Stadt sorgen.

Was Ludwig ansonsten sonst mühelos gelingt, das Überbrücken gegensätzlicher Standpunkte – bei Umweltthemen scheint er sich öfter zu verhärten. Das betrifft nicht nur die Auseinandersetzung mit Ministerin Leonore Gewessler, deren Nein zum Lobautunnel den Wiener Bürgermeister augenscheinlich fast persönlich beleidigte. Ob es nun um breitere Fahrradwege, die Verkehrsberuhigung der Praterstraße oder ähnliche Themen geht: Fast scheint es, als könne er so manche Auseinandersetzung mit seinem früheren Koalitionspartner, den Grünen, noch immer nicht verwinden. Ludwig sollte sein persönliches Grünen-Trauma rasch aufarbeiten. Wiens engagierten jungen Wählerinnen und Wählern geht die Geduld aus. (Petra Stuiber, 28.5.2022)