"Es sollte ein Verbot für schlechte Architektur geben, zumindest für neue schlechte Architektur", sagt Sabine Pollak, Architektin und Professorin an der Kunstuniversität Linz, im Gastkommentar. Lesen Sie dazu auch Architekturhistorikerin Turit Fröbes "Ode an die Bausünde".

Architektur nach Zahlen – das ist leider viel zu oft konzeptlose, also schlechte Architektur.
Illustration: Michaela Köck

Muss ich schlechte Architektur mögen? Muss ich nicht. In Österreich wird so viel wie schon lange nicht mehr gebaut. Und da fällt schlechte Architektur auf. Denn mehr Bauen bedeutet nicht, dass die Architektur dabei besser wird. Die Gründe, warum Architektur schlecht ist, sind unterschiedlich. Schlechte Architektur ist epochenbestimmt (da hat man so gebaut), Resultat überbordender Bürokratie (gebaute Norm) oder das Produkt horrend steigender Preise (mehr war nicht drin). Das kann ich nachvollziehen, mögen muss ich schlechte Architektur deshalb dennoch nicht. Konzeptfreie, fantasielose, sinnlos-monumentale, langweilige oder verkitschte Gebäude sind schlechte Architekturen, und die muss ich nicht mögen.

Wenn gute Gebäude nicht leistbar sind, dann bauen wir besser nicht mehr. Doch auch viel Geld bringt nicht zwingend gute Architektur hervor, oft ist das Gegenteil der Fall, denn Geld allein macht noch kein Konzept. Bis in die 2000er-Jahre war herausragende Architektur noch möglich, heute zwingen Vorschriften und Kostenkorsetts Architekten und Architektinnen zu einem gesichtslosen Einheitsbrei.

"Architektur muss heute vor allem Zahlen erfüllen."

Ich begebe mich auf ein schwieriges Terrain. Was ist gute, schlechte, schöne oder hässliche Architektur? In der Disziplin der Architektur war es in den letzten Jahren verpönt, über Schönheit zu sprechen. Architekturtheorien entfachten sich um den Kontext (Ort und Geschichte), die konstruktive Logik (bei uns nie oberstes Gebot), gesellschaftliche Experimente (Partizipation) oder den Entstehungsprozess (digital). Es lässt sich mit diesen Kategorien auch heute argumentieren, warum eine Architektur gut oder schlecht sei. Man muss diese (weichen) Argumente jedoch mit den harten Fakten kreuzen, also mit dem Diktat des Marktes, der Sturheit der Bauindustrie und der Seltenheit engagierter Auftraggebender. Wenn dies etwa ein Konzern ist, Ansprechpersonen monatlich wechseln und Planende ständig Angst haben, geklagt zu werden, ist der Kontext ein anderer.

Geld schlägt Experiment, Norm schlägt Form, und Brand-, Schall- und Vollwärmeschutz ruinieren das, was ansatzweise ein Konzept war. Und all das ist in einen meist limitierenden Städtebau- und Bebauungsplan eingezwängt. Architektur muss heute vor allem Zahlen erfüllen, sonst kommen Streichungslisten, Auftragsentzug oder Klagen. Was herauskommt, ist so wie Malen nach Zahlen. Das ist für Kinder lustig, als Rahmen für eine Architektur ist es katastrophal. Es erzeugt eine konzeptlose, also schlechte Architektur.

Radikale Veränderung

Nichts kann mich mehr aufregen als Architektur ohne (nachvollziehbares) Konzept. Ich sehe sie überall. Sie steht emotionslos in Lücken, wenn ich Wien durchquere. In Linz, der Stadt der Hochhäuser, ist sie unübersehbar. Und selbst Graz, einst Hochburg komplexer experimenteller Architektur, ist dagegen nicht gefeit. Und was ich auf dem Weg zwischen diesen Städten in diversen Orten und Landschaften sehe, will ich lieber gar nicht beschreiben. In Zeiten politischer Korrektheit, Wokeness und Cancel-Culture sind wir mit unseren Meinungen vorsichtig geworden. Wir überdenken alles mehrfach, um nicht vorschnell zu verurteilen. Bei schlechter Architektur setzt meine Correctness jedoch aus. Ich will sie nicht akzeptieren. Man kann hinterfragen, warum etwas schlecht ist, suchen, was hinter dem aufgeblasenen Einfamilienhaus oder dem dicken Wohnbau steckt, und analysieren, warum das Hochhaus die langweiligste Fassade der Welt hat. Aber ich habe nicht mehr die Geduld dafür.

Es sollte ein Verbot für schlechte Architektur geben, zumindest für neue schlechte Architektur. Wenn sie schon steht, sollte radikale Veränderung erfolgen. Auf ein mahnendes Wahrzeichen aus schlechter Postmoderne kann ich verzichten. Es ist ja keine heikle Geschichte wie das Lueger-Denkmal, sondern ein Gebäude, das eindeutig danebengegangen ist. Nichts muss abgerissen werden, aber radikaler Umbau, bitte, schon.

Globale Nichtarchitektur

Dabei ist ja die Zeit der großen Ausrutscher vorbei. Es werden keine Beamtenburgen mehr gebaut (man hat schon ausreichend), neue Museums- oder Opernhäuser sind selten, dafür wird in den Wohnungsbau investiert, und das ist gut so. Städte wachsen, also werden Wohnhäuser gebaut. Mit dieser Funktion macht sich aber auch ein einheitlicher Stil breit, eine globale, generische Nichtarchitektur: dicke Baukörper, kompakte Fassaden, kleine Fensteröffnungen und springende Balkone in Farben. Es sind großteils räumlich dilettantische und konzeptlose Bauten mit herkömmlichen Grundrissen. Sie erfüllen die Zahlen, das war es dann aber schon auch.

Ach Wien, wie konntest du nur all diese Bauten zulassen? Warum hast du, Graz, nicht an der Grazer Schule festgehalten? Und warum versuchst du, Linz, um jeden Preis, wie jede andere Stadt auszusehen?

Bonus für Experimente

Es müsste eine Förderung für klug konzipierte und schöne Fassaden geben. Ein Geld, das dazu dient, dass Städte, Orte und Landschaften nicht mit Banalität gefüllt werden. Eine Extraförderung für Materialien abseits von Vollwärmeschutz. Ein Bonus für räumliche Experimente, die sich auch an Fassaden abzeichnen. Ein Förderungsmittel für kluge Strukturen, die innen tolle Wohnräume schaffen und außen den Blick einfangen, wie es eben Gründerzeitfassaden tun, mit ihren Gesimsen und Verzierungen. Geld für echten Verputz, für Fassaden ohne Plastikverpackung, für große und elegante Verglasungen und einen schönen Sonnenschutz, der nicht jedes noch so kleinste Konzept erschlägt.

Gebt der Architektur endlich den Stellenwert wieder, den sie hatte, und vergesst das Bauen nach Zahlen. Es wird das Bild von Stadt und Landschaft für immer zerstören. (Sabine Pollak, 29.5.2022)