Lieferkettenprobleme lassen sich nicht von heute auf morgen beheben, sagt Cambridge-Professorin Diane Coyle im Gastkommentar.

Mehr als 80 Prozent der weltweit gehandelten Waren werden in Containern, hier im Hafen von Rotterdam, transportiert.
Foto: AP / Peter Dejong

Seit den 1980er-Jahren ermöglichte die transnationale Produktion die Ausweitung des Welthandels und niedrige Preise für Waren und trug damit erheblich zum Wirtschaftswachstum bei. Die durch die Covid-19-Pandemie und den Ukraine-Krieg ausgelösten Schocks haben den Unternehmen jedoch gezeigt, dass die Effizienzgewinne, die sich aus der globalen Arbeitsteilung und der Just-in-time-Produktion ergeben, auf Kosten der Widerstandsfähigkeit gehen. Da es unwahrscheinlich ist, dass die Engpässe in der globalen Lieferkette bald behoben werden, haben die Unternehmen ihr Augenmerk auf das "Reshoring" oder zumindest auf das "Friendshoring" gerichtet, bei dem versucht wird, eine größere geografische Nähe mit einer größeren geopolitischen Sicherheit zu verbinden.

"Die Bevorzugung des 'Friendshoring' wird die Risiken für unsere Wirtschaft und unsere vertrauenswürdigen Handelspartner verringern." US-Finanzministerin Janet Yellen über die Verlagerung der Lieferketten auf vertrauenswürdige Länder

Die Wiederherstellung von kürzeren, nationalen oder regionalen Lieferketten wird sich aufgrund des finanziellen Aufwands negativ auf das Wachstum auswirken. Einen Hinweis darauf, wie kostspielig das sein wird, gibt die wirtschaftliche Situation in Großbritannien: Dort blieb die Erholung des Handels nach dem Brexit bisher aus. Das unabhängige Office for Budget Responsibility des Vereinigten Königreichs schätzt, dass die Produktivität langfristig um vier Prozent niedriger sein wird, als sie es gewesen wäre, hätte das Vereinigte Königreich seine engen Handelsbeziehungen mit der Europäischen Union beibehalten. Die durch die Globalisierung ermöglichte Spezialisierung hat erhebliche Vorteile gebracht, wie viele Wirtschaftswissenschafter (mich eingeschlossen) seit langem argumentieren.

Unterschiedliche Strategien

Unternehmen werden sich auf Schocks in der Lieferkette auf unterschiedliche Weise einstellen. Einige werden ihre Standorte wieder in ihr Ursprungsland verlagern. Einige werden Subunternehmer an verschiedenen Standorten suchen. Und einige werden sich für eine verstärkte Automatisierung entscheiden. Die beiden letztgenannten Strategien sind mit geringeren Produktivitätseinbußen verbunden, aber auch mit Anpassungskosten und neuen Investitionen. Alle drei Optionen werden einen Teil der Globalisierung der letzten vier Jahrzehnte wieder rückgängig machen.

Anderen Unternehmen wird es jedoch nicht möglich sein, diese Veränderungen vorzunehmen. In einigen Sektoren, wie der pharmazeutischen und chemischen Industrie, macht die ausgelagerte Produktion bis zu 15 bis 20 Prozent der Gesamtproduktion aus.

Versteckte Kosten

Nach 1980 ging man in den Unternehmen verstärkt dazu über, Komponenten zu kaufen, anstatt sie selbst herzustellen. Viele multinationale Unternehmen behielten hochwertige Aktivitäten wie Forschung und Entwicklung oder Design in den Ländern des Hauptsitzes und schickten Formeln oder Entwürfe an Fabriken in kostengünstigeren Standorten wie Malaysia und China. Nach einer anfänglichen Lernphase konnten diese Fabriken Waren zu weitaus niedrigeren Kosten als im eigenen Land und oft auch in gleichbleibender Qualität herstellen.

Im Laufe der Zeit hat dieses Muster jedoch zu weiteren versteckten Kosten geführt: dem Verlust von sogenanntem impliziten Wissen oder Know-how in der Fertigung. Damit ist die Art von Optimierung gemeint, die nie aufgeschrieben wird, aber an jeder Produktionslinie stattfindet. Solche Erkenntnisse können Forscherinnen und Ingenieuren wichtiges Feedback liefern, das jedoch verlorengeht, wenn die Produktion Tausende von Kilometer entfernt stattfindet.

Erodiertes Wissen

Die Unternehmen in den reichen Ländern haben diese Fähigkeiten jahrzehntelang erodieren lassen und sind nicht in der Lage, sie schnell zu reproduzieren. Ostasiatische Produktionszentren wie China, Malaysia und Singapur haben in bestimmten Sektoren und auch in Bereichen wie der Logistik nachhaltige, schwer zu reproduzierende Vorteile entwickelt.

Dies stellt auch die politischen Entscheidungsträger vor Probleme. Die sichere Versorgung mit wichtigen Gütern wie Lebensmitteln und Mikrochips steht bei vielen Regierungen jetzt ganz oben auf der Agenda. Einige fortgeschrittene Volkswirtschaften haben Initiativen zum Wiederaufbau ihrer Produktionskapazitäten gestartet, wie den ehrgeizigen 43-Milliarden-Euro-Plan der EU für Halbleiter oder den 95-Millionen-Euro-Vorschlag Kaliforniens zur Herstellung von Insulin und anderen Generika.

Strategische Vorräte

Solche Pläne mögen eine gute Idee sein, aber sie werden viel Zeit und Geld benötigen, um erfolgreich zu sein. In der Zwischenzeit sind strategische Vorräte eine weitere Möglichkeit. Einige Länder halten bereits Öl- oder Gasvorräte, und viele verfügen über Lebensmittelreserven wie die Käse- und Buttervorräte in den Vereinigten Staaten – wenn auch eher zur Stützung der landwirtschaftlichen Einkommen als zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit. (Das Vereinigte Königreich hingegen hat seine strategischen Lebensmittelvorräte Mitte der 1990er-Jahre abgebaut.)

"Man hat sich auf die großen 'Superstar'-Unternehmen am Ende der Produktionsketten fokussiert."

Die derzeitigen Engpässe in den Lieferketten haben auch einen allgemein unbemerkten Rückgang des Wettbewerbs deutlich gemacht. Obwohl Wirtschaftswissenschafter darauf hingewiesen haben, dass auf vielen Märkten eine zunehmende Konzentration zu verzeichnen ist, hat man sich auf die großen "Superstar"-Unternehmen am Ende der Produktionsketten fokussiert. Die heutigen Engpässe erinnern jedoch daran, dass, je spezialisierter jedes Glied in der Kette wird, es desto weniger Wettbewerb auf jeder Stufe geben kann.

Zumindest bis vor kurzem hatte die Wettbewerbspolitik wenig Bedenken gegenüber vertikal integrierten Unternehmen, solange der Einzelhandelsmarkt wettbewerbsfähig blieb. Man ging davon aus, dass der Druck auf dem nachgelagerten Markt nach oben weitergegeben würde. Einige hatten bereits begonnen, diesen Konsens infrage zu stellen, als sich die Beweise für die Marktmacht großer Unternehmen häuften. Doch die Verknappung von Kohlendioxid (ein Nebenprodukt von Düngemitteln) in der britischen Lebensmittelproduktion und die enormen Auswirkungen auf die Versorgung mit Babynahrung nach der Schließung einer Fabrik in den USA machen dies eindringlich deutlich.

"Praxisbezogenes Handwerkswissen kann nicht online vermittelt werden."

Diese Herausforderungen in der Lieferkette sind eine Folge davon, dass vergessen wurde, dass neben der wirtschaftlichen Effizienz auch andere Überlegungen eine Rolle spielen und dass praxisbezogenes Handwerkswissen nicht online vermittelt werden kann. Probleme, die seit vier Jahrzehnten bestehen, lassen sich leider nicht von heute auf morgen lösen, und die beste Vorgehensweise der politischen Entscheidungsträger ist nicht offensichtlich. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt anfangen, das Modell zu überdenken. (Diane Coyle, Übersetzung: Andreas Hubig, Copyright: Project Syndicate, 16.6.2022)