Ingeborg Zeller setzt die Flasche an den Mund, nimmt einen Schluck und verzieht leicht das Gesicht. Mit dem Handrücken wischt sich die 90-Jährige mit der schwarzen Bluse und dem schneeweißen Haar den Mund ab. "Aus der Flasche trinken, das bin ich nicht mehr gewöhnt", sagt sie. Doch wenn – wie an diesem Donnerstag im Juni – im Haus Atzgersdorf Bier gebraut wird und auch noch "die Zeitung" da ist, dann muss natürlich schon auf das Ergebnis angestoßen werden.

Gustav Paier, Ingeborg Zeller und Helmut Riegerbauer kosten, ob das "Oma" und "Opa" auch gelungen ist.
Foto: Robert Newald

50 Liter sind es, die jede Woche im Pensionistenwohnheim im 23. Wiener Bezirk hergestellt werden. Neben dem "Oma" und "Opa", einem Wiener Lager nach alter Schwechater Rezeptur, werden auch das "Hellmut" und "Hellga", also helles Bier, gebraut.

Der Braukessel steht in einem kleinen Raum im Keller des Seniorenheims, das zu den städtischen "Häusern zum Leben" gehört. Einst war hier die Werkstatt des Haustechnikers, nun stapeln sich in einer Ecke Bierkisten, unter den Fenstern stehen vier silberne Gärtanks. Helmut Riegerbauer – nach ihm ist das "Hellmut" benannt – schöpft mit einer Schaufel das geschrotete Malz in den Kessel. Der 80-Jährige mit der roten Schürze ist jede Woche beim Bierbrauen dabei. Das Einzige, was ihn davon abhalten könne, sei ein Arzttermin.

Bild nicht mehr verfügbar.

Riegerbauer (links) schöpft das Malz in den Braukessel. Mitarbeiter Günther Wallner leitet an.
Foto: Robert Newald

Riegerbauer rührt kräftig um, damit sich das Malz mit dem 63 Grad warmen Wasser vermischt, ein Vorgang, der sich Maischen nennt. "Das riecht schon gut", sagt Günther Wallner, ein Mitarbeiter, der die Obhut über alles hat, was hier vor sich geht. Er erklärt: "Zuerst ist das Wasser ganz trüb, und durch das Auskochen der Maische wird es dann immer heller und irgendwann ganz klar."

Der gelernte Koch begann als Küchenleiter, später bildete er sich in Lebensmitteltechnologie weiter. Bier zu brauen sei immer schon sein "großer Traum" gewesen. Nach einem Crashkurs leitet Wallner die Seniorinnen und Senioren bei allen Schritten an.

Der Weg zum Bier

Nachdem das Malz eine Zeitlang im Kessel gekocht und gerastet hat, kommt der Hopfen hinzu. Nach circa zwei Stunden holt Wallner die Maische heraus und gießt Wasser nach. Am Ende des Brautages wird die sogenannte Bierwürze runtergekühlt und in die Gärtanks umgeleitet, wo die Hefe beigefügt wird. Im Gärtank bleibt das Bier für zwei Wochen. Danach wird es in die Flaschen abgefüllt, wo es, je nach Sorte, noch vier bis sechs Wochen lang nachgärt.

Obwohl streng nach Rezept gebraut werde, schmecke nicht jede Abfüllung gleich. Das liege daran, dass so gut wie alles Handarbeit sei. Schon allein wie fein oder grob das Malz mit der Handmühle geschrotet werde, könne für den Geschmack einen Unterschied machen. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind in alle Arbeitsschritte eingebunden – ihre Hauptaufgabe ist aber, die Flaschen abzukapseln und zu etikettieren.

Riegerbauer führt jeden Arbeitsschritt mit Leidenschaft aus – auch das Abkapseln.
Foto: Robert Newald

Das bedarf konzentrierten Vorgehens, wie man bei Ingeborg Zeller beobachten kann. Sie sitzt an einem Tisch, die Beine übereinandergeschlagen, und löst ein Etikett von der Folie. Mit einer Hand verhindert sie, dass die Flasche wegrollt, mit der anderen versucht sie, das Pickerl möglichst symmetrisch anzubringen. Nur kurz schaut sie auf, um zu erklären, dass sie keinen speziellen Bezug zum Bierbrauen habe, aber ihr Interesse daran groß sei. "Außerdem freut mich die Arbeit und hält mich lebendig", sagt Zeller, die früher in einem Spital gearbeitet hat.

Die Etiketten aufzukleben bedarf einigen motorischen Geschicks. Ob sie ein paar Falten werfen, ist nebensächlich.
Foto: Robert Newald

Neben ihr sitzt Gustav Paier, ein Mann mit roter Krawatte und weißen Hausschuhen. Der ehemalige Sendetechniker beim Rundfunk ist 82 und hat das selbstproduzierte Bier "gern zum Mittagessen, vor allem zum Fleisch. Aber auch nicht jeden Tag." Während er spricht, klebt er eine Etikette auf – sie wirft Falten und ist ein wenig schief.

"Das kann passieren, ist uns aber egal", sagt der Leiter des Bierbrauprojekts, Christoph Gruber. Schließlich gehe es vor allem um den Spaß bei der Sache und darum, den älteren Menschen eine sinnvolle Beschäftigung zu bieten. Zudem werde ihre Feinmotorik gefördert, das Bierbrauen halte geistig fit. Vor allem bei den dementen Bewohnern und Bewohnerinnen des Heims würden die Gerüche auch Erinnerungen wecken.

Das "Oma" und das "Opa" sowie "Hellga" und "Hellmut" sind in den Seniorenheimen der Häuser zum Leben erhältlich. 15.000 Flaschen wurden davon bereits verkauft.
Foto: Robert Newald

Gestartet ist die Bierproduktion im Sommer 2020, die Idee hatte der ehemalige Direktor des Hauses. Kaufen kann man das Bier in allen 30 Standorten der "Häuser zum Leben", eine Flasche (0,3 Liter) kostet zwei Euro. In den vergangenen zwei Jahren wurden insgesamt rund 15.000 Flaschen verkauft.

Der Andrang sei anhaltend groß, sagt Gruber. "Wir sind eigentlich immer ausverkauft." Besonders beliebt seien "Opa" und "Oma". Es gehe nicht darum, viel Geld mit dem Bier zu verdienen. Die Einnahmen würden die Kosten in etwa decken – und wenn am Ende doch etwas überbleibe, "benutzen wir das für neue Projekte".

"Uns wird nie fad"

Dennoch passt es nicht allen, dass hier Bier gebraut wird. Wenn der Hopfengeruch aufsteigt, stört das manchmal andere Bewohner, erzählt Günther Wallner und verdreht die Augen. "Immer wieder kommen die Damen und schimpfen: Tuts schon wieder Bier brauen?" Helmut Riegerbauer, Ingeborg Zeller und Gustav Paier lassen sich von solchen Beschwerden jedoch nicht beirren. Sie haben Gefallen am Bierbrauen gefunden.

Wenn sie nicht gerade im Braukessel rühren oder Etiketten kleben, gehen sie zum Kegeln, zum Markt nach Liesing oder tanzen zur Musik aus dem Wurlitzer. "Uns wird nie fad", sagt Riegerbauer mit fröhlichem Blitzen in den Augen. Glaubt man ihm sofort. (Lisa Breit, 27.6.2022)