Wie wohnen wir morgen? Dieser Frage geht die IBA Wien 2022 nach. Zum Beispiel so: Musterwohnung im Gemeindebau Neu von WUP Architekten in der Seestadt Aspern.

Foto: Luiza Puiu

Das Bettsofa Flottebo, 120 Zentimeter breit, gab es um wohlfeile 699 Euro, das Kommodensystem Bestå schlug mit 440 Euro zu Buche, und den kleinen, kompakten Esstisch Tommaryd konnten die Architekten aus dem Selbstbedienungslager um 219 Euro mit heimnehmen. Neben der Terrassentür hängt ein schwarz-weißes Rendering, so soll’s hier eines Tages mal ausschauen, glückliche Menschen sitzen auf einer Picknickdecke in der Wiese, umzingelt von Bäumen, an der Wand daneben sind ein paar Porträtfotos zu sehen, Kinderfotos aus dem historischen Fundus der hier involvierten Planerinnen und Architekten.

"Schon alles sehr weiß hier, ein bisschen zu weiß vielleicht, wenn man das mit einem realistischen Wohnalltag vergleicht, in dem es meist etwas wilder und chaotischer zugeht", sagt Musterbewohnerin Klara, 26 Jahre alt, "aber durchaus schön und gemütlich. Und man kriegt eine Idee davon, wie diese Wohnung eines Tages aussehen könnte." Für Mustermitbewohner Bernhard (56) sind vor allem die Schiebewände ein Hit, denn mit einer einzigen Handbewegung, sagt er, wird man in der Lage sein, Wohn-, Schlaf- und Arbeitsbereiche je nach Bedürfnis, je nach Tageszeit zusammenzulegen oder akustisch und atmosphärisch voneinander zu trennen.

Nichts ist real

Die weiße Gerbera auf dem künstlich-klapsmühlig in Szene gesetzten Foto mag zwar echt sein, doch darüber hinaus ist hier – noch – nichts real. Denn die 52 Quadratmeter große Musterwohnung im Gemeindebau Neu in der Mela-Köhler-Straße 7, Baufeld H4B in der Seestadt Aspern, rundherum Bagger und behelmte Bauarbeiter unterwegs, geplante Fertigstellung Frühjahr 2023, ist lediglich ein erster früher Vorbote der flexiblen, experimentell erarbeiteten Grundrisse, die die WUP Architekten für den gemeinnützigen Bauträger Wigeba hier realisieren.

Mit seinen 74 Wohnungen – ein Drittel davon mit schiebbaren Wänden ausgestattet – ist der innovative Gemeindebau eines der Pilotprojekte, die im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Wien auf Schiene gebracht wurden und nun, von einem Qualitätsmonitoring begleitet, sukzessive umgesetzt werden. Nach sieben Jahren Projektzeit erreicht die IBA Wien damit ihren Höhepunkt. Seit vorgestern ist die finale IBA-Ausstellung Wie wohnen wir morgen? im IBA-Zentrum in der Nordwestbahnstraße, Brigittenau, zu sehen.

Vier-Zimmerchen-Wohnung

"Wohnen wird immer teurer, und wir stehen heute vor der immensen Herausforderung, dass sich viele Menschen – vor allem Alleinerziehende mit ein oder zwei Kindern – kaum noch eine ausreichend große Wohnung leisten können", sagt Bernhard, Musterstatist in Weiß, Partner bei WUP Architekten, Weinberger mit Nachnamen. "Also haben wir im Prinzip eine Zwei-Zimmer-Wohnung entwickelt, die im Kreis begehbar und bei Bedarf mittels Schiebewänden im Nu in eine Vier-Zimmerchen-Wohnung umfunktioniert werden kann – mit einer kleinen Privatsphäre für jeden und für jede."

Während selbst im günstigen, geförderten Wohnbau die Bestrebungen zunehmend in Richtung hoher Materialqualität gehen, begnügt sich der Gemeindebau in der Mela-Köhler-Straße mit Laminatböden, Kunststofffenstern und verzinkten Eisengeländern. Das materielle Hirnschmalz floss stattdessen in echt clevere Grundrisse, die mit Standardmöbeln und 60 Zentimeter tiefen Schrankwänden wohlfeil und intelligent einzurichten sind. "Im Fokus steht nicht die architektonische Ästhetik", so Weinberger, "sondern das Raum- und Zimmerbedürfnis von Menschen in prekären Lebenssituationen." 7,50 Euro kostet die Miete pro Quadratmeter.

Innovative Lösungen

Die Entwicklung neuer, innovativer Lösungen auf Wohn- und Stadtteilebene – genau darum geht es bei der IBA Wien. Weniger handelt es sich dabei um eine Ausstellung im klassischen Sinne, wie der seit 1901 (!) gebräuchliche Titel vermuten lassen würde, als vielmehr um eine Initiative und einen experimentellen Prozessrahmen, in dem bislang unbekannte, unerprobte urbane Habitatmodelle und konkrete Pilotprojekte beispielhaft durchexerziert werden – mit dem Ziel, voneinander zu lernen, die Regelwerke und Standards zu überdenken und der eigenen, irgendwie zur Routine gewordenen Planungskultur wieder einen Schubs in Richtung Zukunft zu geben.

"Früher waren die IBAs tatsächlich eine Nabelschau von realisierten Projekten, im Vordergrund stand dabei meist die Exzellenz", sagt Kurt Hofstetter, Leiter und Koordinator der IBA Wien. "Doch spätestens mit der IBA Hamburg 2013 hat sich der Fokus vom Projekt auf den Prozess verlagert. Heute geht es nicht mehr um exzellente Architektur im Sinne einer Einzelerscheinung, sondern um die Anhebung der Lebensqualität aller an einem Ort wohnenden, lebenden Menschen."

Zwischen den Häusern

Die Argusaugen der IBA Wien, die Konzeption, Entwicklung, Planung, Errichtung und Wohnbetrieb gleichermaßen unter die Lupe nimmt, richten sich dabei zum einen auf singuläre Wohnbauten wie etwa den Gemeindebau Neu in der Seestadt Aspern, das Loft Living und den Grünen Markt im Sonnwendviertel oder das Holzbausystem Vivihouse, das als gebauter Prototyp derzeit am Donaufeld zu besichtigen ist.

Zum anderen aber hat sich die IBA Wien – mehr als die parallel stattfinden IBAs in Basel, Heidelberg, Stuttgart, Thüringen und in der Region Parkstad im südlichsten Zipfel der Niederlande – dem Quartiersmaßstab verschrieben, also dem Grätzel, der Nachbarschaft, der sozialen, technischen und gewerblichen Infrastruktur zwischen den Häusern.

"Als wir Anfang der 1990er-Jahre mit mehreren Bauträgern ein großes Wohnquartier in der Donaustadt entwickelt haben", erinnert sich Hofstetter, "gab es keinen einzigen Plan, der die Erdgeschoßzone aller involvierten Bauträger abgebildet hat. Niemand wusste, was sein Nachbar für Pläne schmiedet. Also habe ich mich hingesetzt und mit Tusche einen quartiers- und bauträgerübergreifenden Erdgeschoßplan gezeichnet. Und zu meiner großen Verwunderung muss ich sagen: Bis heute ist das noch immer nicht Standard."

Intensive Netzwerkarbeit

In den letzten sieben Jahren ist es der IBA immerhin gelungen, dass im magistratsabteilungsparifizierten Wien die einzelnen Planungsstellen heute endlich miteinander reden und abteilungs- und kompetenzübergreifend im Kollektiv die Wohnquartiere der Zukunft planen. Die in der Ausstellung präsentierten und in vielen, vielen Stadttouren erkundbaren Quartiere – ob das nun im verdichteten, revitalisierten oder ganz neuen Wien ist – geben Einblick in die intensive Netzwerkarbeit, die schon fast zur Normalität geworden ist.

Damit ist das größte und wichtigste Exponat der Internationalen Bauausstellung Wien fast unsichtbar. Oder, wie Kurt Hofstetter meint, der gerade Merlin Sheldrakes Buch Verwobenes Leben über das Verhalten von Pilzen am Nachtkastl liegen hat: "Pilze, Schimmel und Myzelien sind hochintelligente Systeme, die sich untereinander austauschen und einander mit Nährstoffen versorgen. Wer grad hat, der gibt. Wer grad braucht, der nimmt. Wir alle, die wir Stadt bauen, können von Pilzen noch viel lernen." (Wojciech Czaja, 26.6.2022)