"Genetischer Cocktail": George Nuku inszeniert seine eigene diverse Herkunft mit deutschen, schottischen und neuseeländischen Wurzeln. Er habe nicht mehrere Tattoos – es handle sich um ein großes.
Foto: KHM Museumsverband

George Nuku realisiert Projekte in ethnografischen Museen weltweit und verbindet Vergangenheit und Gegenwart. In seiner Ausstellung Oceans. Collections. Reflections. im Weltmuseum setzt der Künstler Werke aus der Sammlung in neues Licht und kombiniert sie mit seinen eigenen. Diese bestehen oft aus Plexiglas oder Kunststoff – für ihn kein Müll, sondern heiliges Material. Die Schau befasst sich mit Traditionen seiner Vorfahren sowie der Beziehung zwischen Österreich und den Māori in Neuseeland. Im Gespräch fordert Nuku völlige Entscheidungsfreiheit seitens der Communitys hinsichtlich zurückgeführter Kolonialgüter und bezeichnet Kolonialismus als "business as usual". Eine StandArt-Videoversion finden Sie hier.

STANDARD: In Ihrer Ausstellung verwenden Sie auch ethnografische Typendarstellungen indigener Personen. Sehen Sie stereotype Bilder wie diese nicht als problematisch an?

Nuku: Es wird immer Spannungen geben, egal was man tut. Ohne Spannungen gibt es keine Möglichkeit zur Veränderung. In diesem Projekt geht es auch um die Beziehung zwischen Österreich und den Māori. Ich nehme historische Werke und verändere sie, Altes wird in neuem Licht präsentiert. Wir haben keine Zeitmaschinen, um zurückzureisen und problematische Aspekte ungeschehen zu machen. Deshalb bringe ich die Vergangenheit in die Gegenwart.

STANDARD: Auf welche Weise verändern Sie die Arbeiten?

Nuku: Ich nutze digitale Techniken, die im Museum angewandt werden, um Prints historischer Bilder zu modernisieren und beispielsweise die Farben zu verändern. Ausgeblichene Bilder wurden so wieder lebhafter. Man könnte sagen, die Bilder haben jetzt etwas von Pop-Art oder Punk. Zugleich drückt es die lebendige Dynamik meiner Kultur aus. Normalerweise arbeite ich auch mit Stein, Knochen oder Muscheln. Diese Stoffe sind in Europa für mich aber nicht sehr einfach verfügbar. Plexiglas und Plastik hingegen schon. Ich verarbeite Ressourcen, die Institutionen wie Museen nicht mehr verwenden, mir aber nützlich sind. Statt sie wegzuschmeißen, versehe ich das Plastik mit neuem Leben.

George Nuku lässt aus Plexiglas geschnitzte Figuren die Objekte seiner Vorfahren tragen.
Foto: APA / GEORG HOCHMUTH

STANDARD: Für Sie ist Plastik nichts Künstliches, oder?

Nuku: Nein. Ich sage, dass es ursprünglich aus der Natur kommt, von unserer Mutter. Deshalb betrachte ich es – so wie alles andere in der Natur – als etwas Heiliges.

STANDARD: Dieses kombinieren Sie mit Objekten Ihrer Vorfahren. Wie war es für Sie, Werke wie diese in den Sammlungen zu finden?

Nuku: Es handelt sich um alltägliche Objekte aus meiner Kultur, wie Kleidung, Schmuck, Waffen oder Machtsymbole. Gemeinsam mit Kurator Reinhard Blumauer begab ich mich auf eine Reise durch die Archive. Das Museum kümmert sich um die Bewahrung und Erhaltung des physischen Teils meiner Vorfahren. Meine Rolle ist es, den ideologischen und spirituellen Aspekt einzufangen. Objekte der Māori befinden sich heute in Museen auf der ganzen Welt, weil sie viele Waren mit den Kolonialmächten austauschten. Im Gegenzug bekamen sie Pferde, Uhren, Messer, Pistolen oder Bibeln. Wenn wir das nicht gehabt hätten, säße ich im Endeffekt gar nicht hier. Ich setze die Vermittlungsarbeit fort, für die meine Vorfahren einen sehr hohen Preis gezahlt haben.

STANDARD: In den letzten Jahren haben Museen begonnen, kolonialisierte Objekte zurückzugeben. Zum Beispiel repatriierte Österreich 2015 menschliche Überreste an Neuseeland, die teils aus Gräbern gestohlen worden waren. Was ist damit genau passiert?

Nuku: Diebstahl bleibt Diebstahl, das ist überall auf der Welt so. Wenn etwas gestohlen wurde, muss Gerechtigkeit walten. Die zurückgegebenen Überreste werden jetzt in einem Depot im Nationalmuseum in Neuseeland gelagert, dort kümmert man sich um sie und versucht herauszufinden, welchen Communitys sie ursprünglich gehörten.

STANDARD: Empfinden Sie das als Gerechtigkeit?

Nuku: Ich sehe es als eine mögliche Antwort, ja.

"Sobald Museen Objekte an Communitys zurückgeben, geht es die Institutionen nichts mehr an, was damit passiert."

STANDARD: Werden die Überreste wieder vergraben, sobald sie zurück zu den Communitys kommen?

Nuku: Das kommt darauf an: Konservierte Schädel von Māori-Vorfahren sind dafür bestimmt, gezeigt zu werden. Bei anderen Körperteilen ist es nicht so, sie dürfen also vergraben werden. Es ist aber eine Entscheidung, die allein bei den Communitys liegt. Sobald Museen Objekte zurückgeben, geht es die Institutionen nichts mehr an, was damit passiert. Auch wenn sie die ursprünglichen Besitzer am Tag nach der Rückführung auf Ebay stellen, kann man sie nicht davon abhalten. Es ist ihr Eigentum. Es ist so, als ob ich Ihr Auto stehlen würde, wir vor Gericht gehen und dieses entscheidet, dass ich das Auto zurückgeben muss, aber nur wenn Sie garantieren können, es in einer Garage zu erhalten. Das ist doch paternalistisch!

STANDARD: Manche würden jetzt argumentieren, dass ein Auto einen anderen Wert hat als gestohlene Objekte aus ehemaligen Kolonien …

Nuku: Das kommt darauf an, wer ihren Wert bestimmt. Ein Kanu aus dem 19. Jahrhundert ist das Äquivalent zum heutigen Auto. Wir müssen aufpassen, Dinge nicht zu fetischisieren. Museen tendieren manchmal dazu. Deswegen verwende ich für meine Werke alltägliche Objekte wie Plastikflaschen. Es sind ebenfalls kulturelle Objekte.

Für die Ausstellung im Weltmuseum modernisierte der Künstler historische Prints und erweiterte Objekte aus der Sammlung, wie ein Māori-Kanu.
Foto: KHM Museumsverband

STANDARD: Was halten Sie von dem Begriff "postkolonial"?

Nuku: So etwas wie Postkolonialismus gibt es nicht. Die Idee, dass etwas aufhört und dann etwas Neues beginnt, ist lächerlich. Es ist alles ein großes Kontinuum. Wir können zwar neue Labels erfinden, das bedeutet aber nicht, dass etwas zu Ende ist. Kolonialismus hat nicht aufgehört, es ist ein Geschäft.

STANDARD: Also sagen Sie, Kolonialismus existiert immer noch?

Nuku: Ja, natürlich. Den Begriff müssen Sie gar nicht verwenden, sagen Sie einfach "business as usual". Alles in dieser kapitalistischen Welt dreht sich um Profit und Verlust.

STANDARD: Anderes Thema: Ein Ausstellungskapitel widmet sich der traditionellen Körperkunst der Māori. Auch Ihre Haut ist mit typischen Tattoos verziert. Was können Sie uns darüber erzählen?

Nuku: Um das klarzustellen: Ich habe nicht mehrere Tattoos, sondern ein einziges, das sich von meinem Kopf bis zu meinen Füßen zieht. In dem Kapitel, das auf diese Tradition Bezug nimmt, geht es um die Unterwelt "Te Rarohenga". Anders als in der westlichen Sichtweise handelt es sich dabei aber um keine Hölle mit Feuer, Teufel und Qual. Ganz im Gegenteil: Die Unterwelt ist ein Ort, wo das Licht nicht so grell scheint und die Menschen als bedacht und feinsinnig gelten. Außerdem steht dieser Raum für eine Art Gebärmutter oder Kosmos. Bei den Körperverzierungen geht es auch um Geschlechtervorstellungen: Die Farbe der Frauen ist schwarz. Die Muster erzählen von Sterben, Leben, Geburt und Wiedergeburt und bestehen über unseren Tod hinaus.

Den Schottenrock trage er aus vielerlei Gründen, erklärt Nuku im Gespräch.
Foto: APA / GEORG HOCHMUTH

STANDARD: Empfinden Sie es als kulturelle Aneignung, wenn sich Menschen ohne Verbindung zur Māori-Kultur diese Motive tätowieren lassen?

Nuku: Wir leben in einer Welt voller Massenmedien, Globalisierung und Massenkonsum! Menschen bedienen sich an den Ideen und Symbolen anderer Menschen, und gute Ideen funktionieren immer. In der Ausstellung kommt auch das Ritual "Mokomokai" vor, das vielleicht als letzter Aspekt unserer Kultur dieser Trivialisierung entkommt. Man wird den konservierten, tätowierten Ahnenschädel nämlich nicht in der nächsten Pepsi-Werbung oder im nächsten Musikvideo von Beyoncé und Jay-Z sehen.

STANDARD: Sie spielen mit Ihrer eigenen diversen Herkunft und tragen zum Beispiel oft typische schottische Kleidung. Was bedeutet Kultur für Sie?

Nuku: Kultur ist das in der Petrischale im Labor, das immer weiterwächst. Ich trage den Kilt aus mehreren Gründen, einerseits, weil ein Teil von mir Schotte ist, aber auch, weil meine Māori-Vorfahren solche Kleidung mit Siedlern getauscht haben, da sie einfach praktischer waren als Hosen. Meine Großmutter war Deutsche, mein Großvater Schotte, meine Eltern Māori. Ich bin ein genetischer Cocktail, so wie wir alle. (Katharina Rustler, 14.7.2022)