Die Choreografin Anne Juren hat ihre Wohnung im zwölften Bezirk in Wien einst als Wohngemeinschaft mit Künstlern genutzt. Nun ist es eine Wohngemeinschaft für ihre Familie mit dem Küchentisch als Zentrum.

"Wir wohnen seit 1999 in dieser Altbauwohnung im Erdgeschoß eines Meidlinger Gründerzeithauses. Ursprünglich war das eine WG, in der Kunstschaffende wie Ulu Braun und Florian Hecker gelebt haben. Und eben auch mein Mann Roland und ich. Wir haben uns drei Jahre lang ein sieben Quadratmeter großes Zimmer geteilt.

Anne Juren in ihrer Altbauwohnung. Das Bild "Expanded Cherries" ist ihr besonders wichtig.
Foto: Lisi Specht

Mit der Zeit sind die Mitbewohner ausgezogen, und wir haben petit à petit expandiert – jedes Mal ein Zimmer mehr. Vor einigen Jahren ist unsere Wohnung noch um einen Raum gewachsen: Unser jetziges Schlafzimmer war ursprünglich nicht Teil der Wohnung und wurde viele Jahre lang gar nicht genutzt, weil es Probleme mit der Feuchtigkeit gegeben hat. Vor einigen Jahren wurde es aber saniert, und wir konnten es dazumieten.

Heute wohnen wir hier mit unseren beiden Söhnen Carl und Theo auf 120 Quadratmetern. Jeder hat ein eigenes Zimmer. Man könnte sagen: Dank dieser Wohnung bin ich Künstlerin. Denn die Miete ist so niedrig, dass ich keinen Top-Job brauche, um sie mir leisten zu können. Ich bin superdankbar dafür.

Das ist ein echtes Familiengebäude. Unsere Vermieter wohnen mit ihrer Familie im Haus. Manchmal nehmen wir gemeinsam einen Aperitif im Garten ein. Es ist eine schöne Atmosphäre, die mich ein bisschen an die Bücher von Elena Ferrante erinnert. Unsere Tür steht immer offen, darum sind immer viele Kinder und Freunde da, und wir kochen manchmal gefühlt für den ganzen Bezirk. Gäste sind uns allen sehr wichtig.

Der Garten gehört dem Haus. Der Esstisch ist erst nach einigen Jahren in der Küche gelandet – und nicht mehr wegzudenken.
Fotos: Lisi Specht

Wir haben immer gedacht, unsere Küche ist zu klein für einen Tisch. Dann haben wir einmal einen Tisch reingestellt, und plötzlich war die Küche im Zentrum der Wohnung. Jetzt sind wir immer hier. Wir essen hier, wir treffen uns hier, und dann geht jeder wieder seines Weges. Wir haben hier ein bisschen eine Familien-WG.

Ich bin überhaupt keine Hausfrau und keine Klischee-Mama. Ich liebe meine Familie, aber man muss nicht immer aufeinander kleben. Ich kenne viele Menschen, die viel für ihre Wohnung machen: immer alles reparieren, ständig neue Dinge kaufen. Ich hab diesen Drang nicht. Für mich muss eine Wohnung einfach zu putzen und nicht besonders Wow-mäßig sein. Es soll ein Platz sein, an dem man sich wohlfühlt. So voilà, ich mag dieses Konzept einer WG beim Wohnen.

Wir versuchen immer, möglichst viel wiederzuverwenden und alles bis zum Ende zu benützen. Wir haben eine komische Mischung aus High Technology und altmodischen Gegenständen. Roland und die Kinder sind Gamer, wir sind also ziemlich gut mit Computern und Konsolen ausgerüstet. Gleichzeitig mögen wir Antiquitäten, weil der mittlerweile verstorbene Freund von Rolands Mutter mit diesen Stücken gehandelt hat.

"Wir haben eine komische Mischung aus High Technology und altmodischen Gegenständen", sagt Anne Juren über ihren Wohnstil.
Fotos: Lisi Specht

Ein wichtiger Gegenstand ist für mich das Bild "Expanded Cherries", das Roland gemalt hat. Es ist eine Spiegelung des Kirschenbaums draußen im Garten, und ich würde nirgends ohne dieses Bild hinziehen. Zu Covid-Zeiten habe ich viele Zoom-Konferenzen gehabt, und das Bild war immer im Hintergrund zu sehen. Ich wurde daher in den virtuellen Gesprächen nicht mehr Anne, nur noch Cherry genannt.

Für mich ist eine Wohnung kein Ort, sondern eine voyage. Ich gehe rein und raus und bleibe nicht lange. Ich habe auch noch ein Atelier und bin viel im Theater tätig. Ich bewege mich durch ganz unterschiedliche Häuser. Roland hat eine andere Beziehung mit der Wohnung. Ich war vor einigen Monaten mit unserem Sohn Carl in New York, und mein Mann hat in der Zwischenzeit das Gaming-Zimmer verwandelt. Jedes Mal, wenn ich zurückkomme, ist die Wohnung wieder anders.

Mein Wohntraum? Marguerite Duras hat mal über ein altes Haus auf dem Land geschrieben, in dem jede Wand eine Bedeutung und ein Leben hat. Sie spricht über dieses Haus wie über einen Körper. Ich träume davon, ein bisschen später, wenn ich mich nicht mehr so viel bewegen kann, so ein Haus zu finden.

Aber vielleicht bleibt es ein Traum. Neben uns wurde vor einigen Jahren ein Neubau gebaut. Wir haben gedacht, an den Garten wird eine große Mauer gebaut und wir bekommen kein Licht mehr. Aber es ist schön geworden. Wir grillen manchmal und fragen die Nachbarn, ob jemand etwas will. Und manchmal schauen wir Fußball auf einer Leinwand, und dann schauen die Leute von den neuen Balkonen mit. Das ist unsere Philosophie. Wir teilen gern und öffnen unser Wohnen für alle!" (18.7.2022)