Wer ohne Rundfunk über Streaming ORF-Angebote nutzen kann, soll künftig ebenfalls GIS zahlen.

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Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) will das aufregende Wort bisher nicht in den Mund nehmen: eine "Haushaltsabgabe" für alle, unabhängig vom Empfang und dem Empfangsweg für Programm.

Der Verfassungsgerichtshof entschied gerade nach einer ORF-Beschwerde, man könne nicht einen wesentlichen Teil der Menschen, die Programme nutzen können, von der GIS ausnehmen.

Die grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger drängt auf eine solche Abgabe – billiger als die GIS bisher, weil mehr zahlen. Deutschland hat seit 2013 eine Haushaltsabgabe, die Schweiz inzwischen auch, beide senkten die Höhe mit der Umstellung.

Im Spitzenfeld der Gebührenhöhe

Der ORF liegt schon bisher im Spitzenfeld der Gebührenhöhe – mit der Gebührenerhöhung im Februar um acht Prozent nur noch haarscharf hinter der Schweiz. Im bisher aktuellsten Vergleich der Rundfunkunion EBU von 2020 war in Österreich, umgelegt auf die Kaufkraft, schon die höchste Gebühr fällig.

Wie finanziert sich öffentlicher Rundfunk in Europa?
Grafik: STANDARD

Aus Raabs Medienministerium kam am Dienstag auf Anfrage lediglich: Man prüfe die Entscheidung der Höchstrichter, "insbesondere im Hinblick auf eine möglichst geringe Belastung der Menschen im Land".

Die SPÖ will sich auf die Umsetzung des Erkenntnisses nicht festlegen, die Neos sind für eine Haushaltsabgabe samt Medienförderung, die FPÖ zeigt sich "entsetzt" über die Entscheidung der Verfassungsrichter in Sachen Streaminglücke.

Und wie geht es nun nach der Entscheidung weiter?

Frage: Müssen künftig alle in Österreich Programmentgelt an den ORF zahlen?

Antwort: Es sieht ganz so aus – nun muss der Gesetzgeber eine neue Regelung finden. Der Verfassungsgerichtshof sagt grob: Wer am Diskurs teilnehmen kann, den der ORF mit seinen Angeboten ermöglicht, der soll dafür zahlen. Eine Nutzungsmöglichkeit von der GIS-Pflicht auszunehmen wie bisher, widerspricht der Verfassung.

Frage: Gilt das sofort?

Antwort: Der Verfassungsgerichtshof gibt dem Gesetzgeber bis Ende 2023 Zeit für eine neue Regelung.

Frage: Kommt eine Haushaltsabgabe für alle wie in Deutschland und der Schweiz?

Antwort: Medienministerin Susanne Raab meidet den Begriff wie schon einige Kanzler und Medienminister vor ihr. Die Grünen drängen schon länger auf eine solche Abgabe. Deutschland und die Schweiz haben schon eine solche Abgabe, unabhängig vom Empfang.

Frage: Bedeutet eine Haushaltsabgabe unabhängig von der Nutzung, dass wirklich alle zahlen müssen?

Antwort: Wie bisher kann es auch bei einer Haushaltsabgabe Befreiungen und Ausnahmen geben, etwa für einkommensschwache Haushalte. Die ORF-Gebührentochter GIS wickelt nach eigenen Angaben pro Jahr rund 400.000 Anträge auf Befreiung ab.

Frage: Was passiert, wenn der Gesetzgeber nichts tut?

Antwort: Der Verfassungsgerichtshof gibt dem Gesetzgeber bis Ende 2023 Zeit für eine neue Regelung. Das Höchstgericht hat – grob gesagt – mit seiner Montag veröffentlichten Entscheidung die Regelung im ORF-Gesetz gestrichen, dass Programmentgelt für den ORF an eine Rundfunkempfangsmöglichkeit gekoppelt ist. Auch einen Verweis auf das Rundfunkgebührengesetz hat das Höchstgericht gekippt. Bleibt der Gesetzgeber untätig, müssen alle Menschen Programmentgelt zahlen, die ORF-Angebote nützen können, schrieb der Rundfunkrechtsexperte und Verwaltungsrichter Hans Peter Lehofer auf Twitter. Ohne Neuregelung wären aber auch alle Ausnahmen von der Zahlungspflicht, etwa für sozial Schwache, infrage gestellt, die das Rundfunkgebührengesetz festlegt.

Frage: Kommt die Entscheidung überraschend?

Antwort: Die Bundeskanzler seit Werner Faymann (SPÖ) und die Medienminister hätten auch auf ihre Experten im Bundeskanzleramt hören können. Michael Kogler, damals wie heute stellvertretender Leiter der juristischen Medienabteilung im Kanzleramt, plädierte etwa schon 2009 in einem Fachbeitrag in der Zeitschrift Medien & Recht für eine "Audiovisionsabgabe" statt der GIS. Deutschland setzte eine solche Abgabe 2013 um. Kogler sah schon 2009 "einigen politischen Sprengstoff" in Überlegungen für eine solche Abgabe – er rechnete damals damit, dass die Abgabe "längerfristig nur ein Traumbild" bleiben werde. Und er behielt bis heute recht– bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs. Und das Höchstgericht brachte die Rechtslage zum damaligen Stand in einem wesentlichen Punkt weiter.

Frage: Gibt es Alternativen zur Haushaltsabgabe für alle?

Antwort: GIS-Pflicht auch für Streamingnutzung lässt sich natürlich ebenfalls regeln. Der Fragenkatalog der GIS-Mitarbeiterinnen an der Haustüre würde aber ein bisschen länger. Sie müssten dann wohl auch nach allerlei Geräten fragen, mit denen man ORF-Angebote streamen kann. Bisher ist GIS-Pflicht an den stationären Empfang gekoppelt.

Die Finanzierung des Rundfunks aus dem allgemeinen Staatsbudget fördert nicht unbedingt die gebotene Staats- und Politikferne öffentlicher Anstalten. Frankreich arbeitet gerade an einer solchen Lösung. Dänemark verabschiedet sich gerade aus dem Gebühren- in ein Budgetmodell. In Osteuropa ist Finanzierung öffentlicher Sender aus dem Staatsbudget recht verbreitet.

FPÖ und ÖVP arbeiteten 2019 an einer Budgetfinanzierung des ORF statt der GIS – bis das Ibiza-Video mit Heinz-Christian Strache die Koalition recht plötzlich sprengte.

In Skandinavien gibt es zweckgewidmete Steuern oder eigene Fonds außerhalb des Staatsbudgets.

Frage: Warum keine Abo-Lösung wie bei Netflix oder Sky?

Antwort: Der Verfassungsgerichtshof betont die öffentliche Aufgabe des Rundfunks und den öffentlichen Diskurs über sein Angebot laut Verfassungsgesetz und Menschenrechtskonvention. Ein solches Angebot soll allgemein zugänglich sein – und nicht allein für Abonnentinnen und Abonnenten.

Aber: Der ORF hat bereits etwa für Satellitenempfang Zugangssysteme mit Smartcard – sonst müsste er TV-Rechte für den deutschsprachigen Raum oder europaweit kaufen. Ein Login ist derzeit in Verhandlung für ORF.at oder Teile davon. Und der ORF plant für sein ab Herbst geplantes Live-Streamingangebot aller TV- und Radiokanäle ein Login.

Frage: Könnte man die Finanzierung des ORF auch einfach für alle streichen?

Antwort: Der Verfassungsgerichtshof hat mit seinem neuen Erkenntnis erstmals eine Finanzierungsgarantie für öffentlich-rechtlichen Rundfunk festgehalten. Das Bundesverfassungsgesetz Rundfunk aus dem Jahr 1974 verlangt ein Rundfunkgesetz, das Objektivität und Unparteilichkeit des ORF, seiner Organe und Mitarbeiter und seiner Programme gewährleistet. Das bedeutet nach Ansicht der Verfassungsrichterinnen und Richter auch, dass der Gesetzgeber für eine entsprechend unabhängige Finanzierung eines solchen Angebots sorgen muss. Wie eine solche Finanzierung genau gestaltet wird, muss sich nun der Gesetzgeber überlegen. Er hat dafür Zeit bis Ende 2023. (Harald Fidler, 20.7.2022)

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