Die Hauptrolle spielt die Bühne von Stéphane Laimé: Von der Decke baumeln unzählige Schiffstaue, ...
Foto: Bregenzer Festspiele / Karl Forster

Zur Eröffnung der Festspiele und Premiere der Oper Madame Butterfly auf der Bregenzer Seebühne gab es kürzlich Regen, Blitz und Donner. Weswegen die Vorführung ab etwa der Hälfte ins Innere des Festspielhauses verlagert werden musste. Die Premiere von Der Sturm, einer Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin, fand am Samstag gleich im Trockenen, im Theater am Kornmarkt statt.

Der Autor Jakob Nolte hat dafür den 1611 uraufgeführten Text von William Shakespeare Wort für Wort aus dem Englischen ins Deutsche übertragen. Wort für Wort! Das klingt dann zum Beispiel so: "Sei nicht erfürchtet; diese Insel ist voll von Lärm, Geräuschen und süßen Lüften, die geben Vergnügen, und schmerzen nicht."

Und auch die grammatikalisch wie semantisch recht abenteuerlustige Übersetzung schmerzt nicht. Viel eher verneigt sie sich vor dem sprachlichen Wagemut Shakespeares. Bei einer Länge von über zwei Stunden gestaltet sich ein sinnerfassendes Zuhören über die Dauer des Abends hinweg zwar durchaus anstrengend. Jedoch macht es die wohltemperierte Inszenierung problemlos möglich, sich vom Text als bloßer Klangkulisse der Bühnengeschehnisse berieseln zu lassen. Und die komplizierte Geschichte erzählt sich auch so.

Sinnbefreites Sprachspiel

Regisseur Jan Bosse, der schon 2019 für Don Quijote bei den Bregenzer Festspielen mit Nolte als Übersetzer zusammenarbeitete, darf sich dafür ganz auf das exzellente Ensemble verlassen. Noch die ungewöhnlichsten Satzstellungen und sinnbefreitesten Formulierungen werden hier mit nonchalanter Selbstverständlichkeit gesprochen, und wenn es mal ganz arg nach Bahnhof klingt, dann verständigen sich die Schauspielenden mit einem "Hä?"-Witzchen über die komische Seltsamkeit der Sprache mit dem Publikum. Es läuft also wie geschmiert. Mit einem charismatischen Wolfram Koch als Prospero, ehemaliger Herzog Mailands und nunmehriger Herrscher über Insel, Sklave und Geist, der einen Sturm heraufbeschwört, um seinen verräterischen Bruder Schiffbruch erleiden zu lassen.

... manche sogar mit Wasseranschluss.
Foto: Bregenzer Festspiele / Karl Forster

Anfangs geriert sich dieser Prospero als schrulliger Marionettenspieler, der zwar keine eigene Zauberei zustande bekommt, den zuvorkommend untertänigen Luftgeist Ariel jedoch unsanft zur Seite, also aus dem Scheinwerferlicht schubst. Lorena Handschin spielt diesen Glitzerkleid-Ariel mit entwaffnender Lust am Schalk und lässt per Fingerschnippen allerlei Theatermagie geschehen: Wasser sprudelt aus einem Seil! Das Licht geht aus! Der Sturm geht an!

Die Hauptrolle spielt an diesem Abend insofern die Bühne von Stéphane Laimé – voller Wunder, voller von der Decke baumelnder Schiffstaue. Und Prospero? Zieht sich am Ende, plötzlich tattrig geworden, in seine Studien zurück und überlässt die Bühne dem kitschigen Ende zwischen Tochter Miranda und Prinz Ferdinand.

Rosa-rüschiges Happy End

Die komplizierte Geschichte über Herrschaft, Verwirrung und Versöhnung erzählt sich also dank eines mühelosen Zusammenspiels zwischen den Schauspielenden auch so. Anstatt die Sprache als solche ins Zentrum des Abends zu rücken, ermöglicht die Neuübersetzung eine Fokussierung auf Handlungsabläufe – bei Bosse mit allerlei schauspielerischen Gags ausgestaltet.

Weder Kolonialgeschichte noch postkoloniale Diskurse scheinen für diesen optisch ansprechenden, dramaturgisch gut konsumierbaren Abend eine Rolle zu spielen. Das wirkt seltsam leer und unbedarft, diese Freude am bloßen Handlungsfortschritt. Sowie der Singsang der Sprache Bedeutungsunterschiede nivelliert, so gleicht die Inszenierung Machthierarchien aus.

Fürs Finale steht Julia Windischbauer, die davor den versklavten Caliban in gedankenversunkener Menschenscheu darstellte, in einer Reihe mit Miranda, Ferdinand und Ariel. Sie alle intonieren den Satz "Hölle ist leer, und all die Teufel sind hier", als wären alle gleichermaßen Teufel, was in Anbetracht der im Stück verhandelten Gewaltgeschichte nicht nur wahnsinnig versöhnlich, sondern moralisch verrückt wirkt. Ein rosa-rüschiges Happy End für alles und alle! (Theresa Luise Gindlstrasser, 25.7.2022)