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Es sind die anderen Radfahrenden, die mir den Rest geben. (Symbolbild)

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Ich würde mich nicht als jemanden definieren, der sich gerne aufregt. Mir macht es keinen Spaß, mich in Situationen zu bringen, die meinen Puls in die Höhe treiben. Nein, ich versuche sie zu vermeiden. Ich habe keinen Twitter-Account, und ich geh nicht am Samstag zum Ikea. Blöderweise muss aber auch ich von A nach B kommen, und manche Wege lassen sich in einer verhältnismäßig kleinen Stadt wie Wien eben am effektivsten und schnellsten mit dem Rad erledigen. Theoretisch zumindest. Die Realität schaut anders aus, als sie andere Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer beinhaltet.

Jetzt erwarten Sie sicher einen Rant über Autofahrerinnen und Fußgänger. Und tatsächlich, jede und jede einen Pkw steuernde Person, die vorm Abbiegen nicht dreischulterblickt, möchte ich am liebsten *darf man nicht schreiben*. Und jede und jeden per pedes unterwegs seienden Hans-Guck-in-die-Luft, der auf dem Radweg dahinflaniert oder geistesabwesend einen Schutzweg betritt, in der Mitte der Überquerung aus seiner Trance gerissen von dem auf ihn zukommenden Rad so erschrocken ist, dass er S T E H E N B L E I B T und einen zwingt, eine Vollbremsung hinzulegen, will ich *darf man eigentlich nicht mal denken*. Von den Rollerfahrenden auf Radwegen möchte ich gar nicht anfangen, weil mir schon das Geimpfte aufgeht, und da ich dreimal gegen Corona geimpft bin, ist das viel Geimpftes.

Andere Radfahrer sind die schlimmsten

Trotzdem sind es die anderen Radfahrenden, die mir den Rest geben. Denn für jede STVO-treue Person auf dem Zweirad gibt es mindestens drei Leute der Sorte "denn sie wissen nicht, was sie tun". Dass es keine Helmpflicht für Erwachsene gibt, wundert mich immer wieder, und dass manche Leute glauben, sie müssen beim Radfahren in der Stadt Musik hören, werde ich nie verstehen, aber all das meine ich nicht einmal. Nein, am meisten regt mich pure Gedankenlosigkeit auf. Folgende Situation, wie sie sich oft beobachten lässt. Man fährt also auf dem Radweg in gewissenhafter Zügigkeit dahin, und nachdem man ein paar Fußgängerinnen, die dort Sinnsuche betreiben, aus dem Weg geklingelt hat und zweimal von einem nicht Vorrang habenden Auto beim Abbiegen fast überfahren wurde, erreicht man also die Ampel, die auf Rot steht. Man bleibt also stehen, und zwar hinter der weißen Linie am Boden, die "hinter mir stehen bleiben" bedeutet.

Überholeinreiher

Alle Radfahrerinnen, die etwas langsamer unterwegs waren, schließen nun zu einem auf. FALSCH! Sie schließen nicht zu einem auf; sie ignorieren die weiße Linie, reihen sich vor einem ein, damit sie die Ersten sind, die beim Grünwerden der Ampel losfahren können. Und es sind IMMER die Leute, die dann, wenn die Ampel Grün zeigt, in einem Schneckentempo losfahren, worauf sich hinter ihnen eine Kolonne von Radmenschen bildet, von denen einige gern überholen würden, aber nicht können, weil Gegenverkehr.

Hat man es dann endlich geschafft, zu überholen, wurde so viel Zeit verloren, dass die nächste Ampel wieder Rot zeigt. Und was passiert? Ja, ganz richtig. Der Schneckenradfahrer stellt sich wieder vor einen! Natürlich wird jetzt ein kluger Mensch einwerfen, man könne das umgehen, indem man selbst die weiße Linie ignoriert und sich selbst ganz vorne hinstellt, aber erstens ist die weiße Linie aus einem Grund da, zweitens GEHT ES UMS PRINZIP ,und das Prinzip lautet: Losfahren in der Reihenfolge, in der man angekommen ist. Was gibt es denn da nicht zu verstehen?

Wie gesagt: Es geht um Gedankenlosigkeit, nicht um böse Absicht. Auch in den Schneckenmenschen dürfte das Bedürfnis, immer der oder die Erste sein zu wollen, evolutionär bedingt – ich mutmaße – so tief verankert sein, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, mit ihrem Verhalten die gute Radfahrordnung ins Chaos zu stürzen. Die Nach-mir-die-Sintflut-Mentalität sitzt tief, das muss man verstehen. Aber wenn's bei so basalen Dingen wie Radfahren schon beim Mitdenken und der Rücksichtnahme scheitert, wie schaffen wir dann den Rest? (Amira Ben Saoud, 30.7.2022)