Laut Justizministerium sollen "Interessenkonflikte" bereits im Vorfeld ausgeschlossen werden.

Foto: Matthias Cremer

Wie genau es die türkis-grüne Koalition mit heiklen Bestellvorgängen in der Justiz nimmt, wird sich demnächst zeigen: Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) sucht zum ersten Mal in seiner achtjährigen Geschichte ein neues Präsidium. Bis zum 9. August werden Bewerbungen für den Chef oder die Chefin des größten Gerichts des Landes entgegengenommen. Laut dem türkis-grünen Sideletter sollte die ÖVP zum Zug kommen – trotz eines klar geregelten Auswahlverfahrens.

Das befeuerte eine alte, zentrale Kritik am BVwG: Schon seit seiner Gründung im Jahr 2014 ist die Rede von Posten, die nach Parteifarbe vergeben werden. Kritiker sprechen unter vorgehaltener Hand auch von einem "sicheren Abstellgleis" für ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Ministeriumskabinetten. Der jetzige Präsident, Harald Perl, war Kabinettschef von Ex-Bundeskanzler Franz Vranitzky und Victor Klima (beide SPÖ). Sein jetziger Vize, Michael Sachs, war Kabinettschef von Wolfgang Schüssel (ÖVP).

Perl geht Ende des Jahres in Pension. Seinen Nachfolger ernennt der Bundespräsident auf Vorschlag der Regierung. Letztere will laut Justizministerin Alma Zadić (Grüne) den Vorschlag der Personalkommission respektieren. Entscheidend wird also sein, wie diese Kommission besetzt wird.

ÖVP-Mehrheit in Kommission?

Einen Fixplatz haben laut Gesetz die Präsidenten der Höchstgerichte: Rudolf Thienel, Präsident des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH), ist ÖVP-Mitglied, Christoph Grabenwarter, Präsident des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), stand zwar auf dem türkis-blauen Sideletter, gilt aber als unabhängig. Elisabeth Lovrek ist als Präsidentin des Obersten Gerichtshofs (OGH) nicht politisch zuordenbar. Dazu kommen zwei Jusprofessoren und zwei Vertreter aus Ministerien. Die Koalition wird sich diese Köpfe wohl aufteilen.

Mitzureden hat dabei aber auch das Justizministerium, was zu Interessenkonflikten führen könnte: Dem Vernehmen nach interessiert sich der Leiter der mächtigen Sektion III, Alexander Pirker, für den Job als Präsident. Er ist zwar geprüfter Justizrichter, hat aber nie als solcher gearbeitet. Pirker, Mitglied im Cartellverband (CV), war Anfang der 2000er-Jahre im Vorstand der Jungen Volkspartei (JVP). Nach seiner Ausbildung ging er ins Justizministerium und bekam dort einen der vielkritisierten "Mascherlposten". Offiziell wurde er als stellvertretender Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Graz eingestuft, war als solcher aber nie tätig.

Trotz seiner ÖVP-Nähe wird Pirker nicht mehr von allen innerhalb der Volkspartei geschätzt. So war es seine Sektion, die eine Strafanzeige gegen Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) wegen einer umstrittenen Personalentscheidung eingebracht hat. Auch Christian Pilnacek, der suspendierte Justizsektionschef mit eindeutiger ÖVP-Nähe, ist nicht mehr gut auf Pirker zu sprechen.

Pirker als Win-Win

Für die ÖVP wäre Pirker dennoch kein schlechter Kandidat. Er ist formell qualifiziert und mit seinen 42 Jahren vergleichsweise jung. Seine Amtszeit liefe also dementsprechend lang. Auch für die Grünen hätte seine Bestellung Vorteile: Zadić wäre einen Sektionschef im ÖVP-dominierten Ministerium los und könnte die Stelle neu besetzen. Pirkers Vertrag soll noch in dieser Periode auslaufen, seine Wiederbewerbung wäre somit vom Tisch.

Neben Pirker werden auch dem jetzigen BVwG-Vize Sachs Ambitionen auf den BVwG-Chef-Posten nachgesagt. Formell gilt er als qualifiziert, schließlich kennt er das Gericht in- und auswendig. Sein Ruf ist aber angekratzt: Im Frühjahr bewarb er sich als Chef der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) und ging nach einer umstrittenen Entscheidung der Personalkommission als Bestgereihter aus dem Auswahlverfahren hervor. Die Grünen wehrten sich gegen die Reihung des ÖVP-Mannes wegen angeblicher fachlicher Mängel. Nach wie vor streitet die Koalition um die Besetzung. Als BVwG-Richter eilt Sachs sein Ruf voraus: Expertinnen und Experten kritisieren ihn laufend für fragwürdige Asyl-Entscheidungen.

Sachs dürfte nicht der einzige Bewerber aus dem BVwG sein. Zumindest zwei weitere Kammervorsitzende sollen sich ebenfalls für den Posten interessieren. Auch der Name Sabine Matejka, Vorsteherin des Bezirksgerichts Floridsdorf, fällt immer wieder. Medial bekannt wurde sie durch ihre Funktion als Präsidentin der Richtervereinigung und als scharfe Kritikerin der Sideletter-Politik. Zum STANDARD sagte Matejka, dass sie sich noch nicht entschieden habe.

Das Justizministerium will nun behutsam vorgehen. In einer Stellungnahme heißt es, dass man die Kommission erst nach Bewerbungsschluss zusammensetze. "Interessenkonflikte bzw. bereits der Anschein ebensolcher" sollen im Vorfeld ausgeschlossen werden. Ob es dabei bleibt oder die Koalition doch noch ihren Sideletter aus der Schublade holt, wird sich zeigen. (Laurin Lorenz, Jakob Pflügl, 1.8.2022)