Die Regierung muss über ihren Schatten springen und eine Energiepreisregulierung einführen, sagt der Ökonom Kurt Bayer im Gastkommentar.

Beim Sommerministerrat kreisten die Köpfe: Magnus Brunner, Karl Nehammer, Werner Kogler, Leonore Gewessler.
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Die OMV hat ihren Umsatz im ersten Halbjahr 2022 um satte 124 Prozent gegenüber dem Vorjahrszeitraum auf 30,6 Milliarden Euro gesteigert – eine Umsatzrendite von 8,2 Prozent. Noch besser erging es dem Verbund, dessen Umsatz um 174 Prozent auf 4,7 Milliarden Euro anstieg und dessen Ebitda, also das Nettoergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, um heiße 111 Prozent auf 1,4 Milliarden Euro.

Die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sollten jubeln, dass "ihre" Energiekonzerne so toll gewirtschaftet haben. Das Gegenteil ist der Fall: Sie stöhnen unter den hohen Energiepreisen, befürchten, dass sie im Herbst und Winter nicht mehr ordentlich heizen können, dass sprichwörtlich "die Lichter ausgehen" werden. Derweil rätselt die Regierung, ob und wie sie die Bürgerinnen und Bürger entlasten soll, und überschlagen sich die Bundesländer mit Strompreisdeckeln, "Energiekontingenten", Forderungen nach Senkung der Mehrwert- und Energiesteuer. Das ist Föderalismus der kontraproduktivsten Art: keine Berechnungen der Auswirkungen, keine Gegenfinanzierung, keine Priorisierung. Schnell- und Hüftschüsse hier und dort.

Steuergeld statt Regulierung

Die NGO Attac fordert einen "Gratisgrundverbrauch" an Strom (auch Gas?) für alle Haushalte und einen progressiven Stromtarif. Das offenbar von der Regierung präferierte Modell des Wifo-Chefs Gabriel Felbermayr will die Haushalte mit einem Grundkontingent entlasten, wobei noch unklar ist, ob das für alle gelten soll oder nur für jene, die es tatsächlich benötigen; und ob dieses Grundkontingent "gratis", also von den Steuerzahlenden bezahlt sein soll oder zu einem früheren Preis abgegeben werden soll; und ob dabei die Wohnungsgröße oder die Anzahl der Familienmitglieder Berücksichtigung findet. Bis Herbst sollen diese und andere Details feststehen. Andere diskutierte Möglichkeiten, wie die Mehrwertsteuer oder Energieabgabe zu senken, die Energierechnung, den Einkaufs- oder Verkaufspreis zu deckeln, die Übergewinne abzuschöpfen, scheinen von der Regierung verworfen zu werden. Mit dem – richtigen – Argument, dass damit die zur Eindämmung der Klimakrise notwendigen Marktanreize verhindert würden.

Es wird auch – bisher zumindest – ausgeschlossen, dass es Staatseingriffe in das Energiemarktgeschehen geben soll. Im Ökonomieunterricht lernt man sehr rasch, dass "natürliche Monopole" durch Preisregulierung am Ausnützen ihrer Marktmacht zu hindern sind. Dies scheint in dieser marktliberalen Regierung ein Tabu (aus Unkenntnis oder politischem Kalkül?) zu sein – obwohl sie gewillt ist, Milliarden zur Unterstützung der Haushalte auszugeben: Steuergeld statt Regulierung.

"Arme" Haushalte entlasten

Dabei sollte man in dieser Krisensituation pragmatisch vorgehen und alle möglichen Instrumente zum Schutz von Unternehmen und Haushalten in Betracht ziehen. Dazu folgender Vorschlag:

1. Es gibt einen lösbaren Zielkonflikt zwischen dem Wirkenlassen der Weltmarktpreise für den Klimaschutz und der Leistungsfähigkeit der Haushalte. Wenn ein Teil der Haushalte "klimaarm" wird und im Winter in kalten Wohnungen zu sitzen droht, müssen ihre Budgets entlastet werden, aber so, dass die Anreizwirkung hoher Energiepreise zum "Sparen" unangetastet bleibt.

"Arme" Haushalte müssen rasch von ihren Energiekosten teilentlastet werden, am besten durch Pauschalbeträge, die nicht die Energiepreise beeinträchtigen. Sinnlos und teuer wäre es, alle Haushalte durch verbilligte oder gratis "Energiekontingente" zu entlasten, da die meisten Haushalte sich die höheren Preise leisten können. Eine Möglichkeit, "arm" zu definieren, wäre es, all jene, die unter dem Eingangseinkommensteuersatz liegen, dazuzuzählen; eine andere, Notstandshilfe-, Ausgleichszulagen- und Arbeitslosengeldbeziehende zu begünstigen.

Staatliche Preiskontrolle

2. Die Energiemärkte sind keine "Märkte" im wettbewerblichen Sinn, sondern meist Monopole. Aktuell kommt noch preisverstärkend der Ukraine-Überfall beziehungsweise der Einsatz von Energielieferungen als "Waffe" dazu, obwohl auch schon vorher die Preise gestiegen sind. Österreich kann die Weltmarktpreise nicht beeinflussen, sollte sich jedoch auf die österreichischen Anbieter konzentrieren. Es wäre daher sinnvoll, die heimischen Energieunternehmen einer staatlichen Preiskontrolle zu unterwerfen, die auf einem "Cost-plus"-Modell aufbaut. Das hieße, auf die ausgewiesenen Fix- und variablen Kosten einen Aufschlag (zum Beispiel zwei Prozent) als Entgelt für Unternehmensgewinn und Investitionsvorhaben vorzunehmen. Damit würde man vom bestehenden Merit-Order-System abweichen, wonach alle Energieunternehmen den jeweils höchsten Energiepreis verrechnen können, auch wenn sie selbst viel günstiger produzieren. Weltweit werden diese Cost-plus-Modelle etwa für öffentliche Beschaffungsvorgänge mit Erfolg angewandt.

Keine "Übergewinne" mehr

Eine solche Regulierung ließe diese "Übergewinne" erst gar nicht entstehen. Stromanbieter von schon lange abgeschriebenen oder jedenfalls billigeren Wasserkraftwerken, aber auch die Anbieter von erneuerbaren Energiequellen könnten deutlich günstiger anbieten als jene des letzten zugeschaltenen teuersten Gaskraftwerks. Das würde Unternehmen wie Haushalte deutlich entlasten – ohne dass "der Staat" teure und oft nicht zielgerichtete Kompensationen machen müsste.

Die Bundesregierung muss – angesichts der Inflations- und Energiekrise – über ihren Schatten springen und möglichst rasch eine sozial-ökologisch adäquate Energiepreisregulierung vorantreiben. (Kurt Bayer, 30.7.2022)