Seit einem Vierteljahrhundert haben die christdemokratischen Parteien die europäische Politik maßgeblich geprägt. Die CDU in Deutschland, die Democristiani in Italien, die ihnen verwandten Gaullisten in Frankreich, die ÖVP in Österreich – sie alle waren Stabilitätsanker in ihren jeweiligen Ländern, in Konkurrenz mit den großen linken Volksparteien, den Sozialdemokraten im Norden und den Kommunisten im Süden. Geht diese Ära nun zu Ende?

Die CDU hat nach dem Abgang von Angela Merkel die Wahlen verloren und sucht ihre Identität. Die Democristiani sind Geschichte. In Frankreich kämpft eine Vielzahl von Parteien um das bürgerliche Wählerreservoir. Und in Österreich erlebt die ÖVP eine tiefe Krise. Die Medien sind voll von Spekulationen über einen Regimewechsel und die Chancen einer Ampelregierung nach deutschem Muster.

In Österreich erlebt die ÖVP eine tiefe Krise.
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Der Niedergang der christdemokratischen Parteien ist eng verbunden mit dem Niedergang der katholischen Kirche. Alle diese Parteien hatten ihre Wurzeln in der katholischen Soziallehre und einen verlässlichen Wählerstock in den regelmäßigen Kirchgängern. Ein bisschen schlitzohrig und ein bisschen korrupt waren sie immer, aber es gab doch einen Grundkonsens konservativer Anständigkeit und eine gewisse Balance zwischen Wirtschaftsinteressen und sozialen Bedürfnissen. In Italien sind aus dem sozialen Flügel der Democristiani so angesehene Politiker wie der Staatspräsident Sergio Mattarella und der Anführer des linksliberalen Partito Democratico, Enrico Letta, hervorgegangen. Auch der vielgelobte Ex-Premier Mario Draghi, ein Jesuitenschüler, kam, wiewohl parteiunabhängig, aus dieser Richtung. Und in Österreich denkt man im Zusammenhang mit dem Begriff "Christdemokraten" an Namen wie Erhard Busek, Josef Krainer oder Otmar Karas.

Schnösel oder Rabauke

Die nächste Generation tickt anders. Es gibt einen Trend zum Neoliberalismus ("Hure der Reichen") und einen anderen zum Rechtspopulismus ("Unser Geld für unsere Leut"). Schnösel oder Rabauke. Einige Kinder aus bürgerlichen ÖVP-Familien gingen aus moralischen und ökologischen Gründen zu den Grünen, andere, liberal geprägt, zu den Neos. Aber die größte Herausforderung für konservative Parteien ist ohne Zweifel der Aufstieg der extremen Rechten.

In den USA ist aus den Republikanern, der einstigen Grand Old Party, eine Partei geworden, die sich am Rande der Demokratie bewegt. Donald Trump statt Abraham Lincoln. In Italien streiten sich Lega-Chef Matteo Salvini und die Anführerin der postfaschistischen Fratelli d’Italia, Giorgia Meloni, um den ersten Platz rechts der Mitte. Ungarns Quasidiktator Viktor Orbán gilt in diesem Milieu als Vorbild. Und in Polen hat Jarosław Kaczyński mit kräftiger Beihilfe der polnischen katholischen Kirchenleitung alles, was rechts steht, um sich versammelt.

Die Parteienlandschaft ist im Umbruch. Das zeigt sich nicht zuletzt in der kommenden Bundespräsidentenwahl in Österreich, bei der keine der beiden ehemaligen großen Volksparteien einen Kandidaten aufgestellt hat. Blau gegen Grün statt Rot gegen Schwarz.

Die neue Normalität. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 11.8.2022)