Eigentlich ist die behördliche Vorgehensweise im Notfall klar: Sind Kinder zu Hause akut gefährdet, kommen sie in ein Krisenzentrum. Es ist die Ultima Ratio, wenn Kinder wegen Gewalt in der Familie aus dieser herausmüssen – und Schutz brauchen. Nur die adäquate Betreuung finden sie dort nicht mehr ausreichend. Die Einrichtungen sind mit Kindern unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichen Problemen überfüllt. Von "Kleinkindern neben psychiatrisch auffälligen oder delinquenten Jugendlichen" ist bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien die Rede. Manche Sozialarbeiterinnen sehen bereits folgende Problematik: Wo ist die Gefahr geringer – daheim oder im Krisenzentrum?

Der Schutz der Kinder geht uns alle an.
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Eine unwürdige Abwägung. Und eine Entwicklung, die sich abgezeichnet hat. Die Missstände in der Kinder- und Jugendhilfe wuchsen über die letzten Jahre in ganz Österreich an – und haben nun ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Egal, ob im ambulanten Bereich, in WGs oder Krisenzentren: Überall mangelt es an Fachpersonal. Familien, die Unterstützung daheim benötigen, verkümmern auf Wartelisten. Am anderen Ende müssen Krisenzentren schließen. All das lässt die Fallzahlen auf ein kaum zu bewältigendes Maß ansteigen – das die Sozialarbeiter allein zu stemmen haben. Die Folge: Immer mehr Fachkräfte schmeißen den Job hin und wandern in Bereiche, die attraktiver sind. Wenn sie nicht zuvor ins Burnout schlittern.

Als Hilfeschrei sind daher die Gefährdungsmeldungen des Dachverbands der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen zu sehen. Sie gingen Ende Juli an die Bundesländer Wien, Salzburg und Steiermark, wo die Lage am übelsten ist, und offenbaren ein großes Problem: Alle Länder kochen beim Kinderschutz ihr eigenes Süppchen. Je nach Land verdient das Personal unterschiedlich viel (in der Regel zu wenig), auch die Ausbildungsanforderungen variieren. Gerade in diesem Bereich bräuchte es aber bundeseinheitliche – und hohe – Standards.

Letztlich wird auch von der Sozialarbeit erwartet, zwei Ebenen abzudecken: Sie soll einerseits präventiv wirken, damit Kinder gar nicht erst aus ihrem Zuhause wegmüssen; und sie muss fähig sein einzuschreiten, wenn deren Wohl in Gefahr ist. Bessere Gehälter, geringere Fallzahlen und mehr Studienplätze sind dafür essenziell. Länder und Bund dürfen sich nicht länger aus der Verantwortung stehlen: Der Schutz der Kinder geht uns alle an – und braucht faire Bedingungen für jene, die ihn in unserer Gesellschaft gewährleisten. (Elisa Tomaselli, 10.8.2022)