Knapp zum Termin zischt Johannes Kopf in sein Büro in Wien-Brigittenau. Sein Faible für Fotografie ist hier nicht zu übersehen: großformatige Fotos an jeder Wand. An jener hinter dem Schreibtisch des AMS-Chefs hängt das riesige Foto einer Werkstätte, in der ein Mann an der Arbeit ist, aufgenommen es die österreichische Fotografin Julia Grandegger.

STANDARD: Ich habe Ihnen etwas mitgebracht.

Kopf: Einen dünnen Ast? Ein Stück Holz? Hat wohl etwas mit mir zu tun?

STANDARD: Ja. Es ist ein krummes Hölzchen …

Kopf: Ah, dazu habe ich etwas gesagt, als ich 2017 die Ehre hatte, vom Roten Kreuz den Heinrich-Treichl-Preis für humanitäres Engagement verliehen zu bekommen …

AMS-Chef Johannes Kopf hält seinen Job für einen der besten, den es für ihn in der Republik gibt.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Genau. Immanuel Kant: "Der Mensch ist ein krummes Holz, aus dem man nichts Gerades zimmern kann." Seinen Philosophenkollegen Isaiah Berlin zitierten Sie auch, er schrieb "Das krumme Holz der Humanität" – und Sie reden oft von Menschlichkeit. Sie sagen ja auch, das, was als "gut" gelte, verändere sich laufend. Was ist denn jetzt gerade gut?

Kopf: Menschlichkeit ist mir bei all meinen Entscheidungen ein relevantes Anliegen. Und was jetzt gerade gut ist? Ich bin Optimist und glaube, dass die Welt und wir Menschen im Schnitt besser werden. Dazwischen gibt es natürlich immer wieder Einbrüche mit finsteren Zeiten, aber im Trend entwickelt sich die Menschheit in einem positiven Sinne; etwa wenn man die Stellung der Frau in der Gesellschaft betrachtet. Aber es ist schwierig zu erkennen, was gut ist, es ist ja nicht einmal leicht zu erkennen, was gut für einen selbst ist. Um wie viel schwieriger ist es da, das absolut Gute zu erkennen? Aber das Gute, das Sinnvolle zu tun ist für viele eine starke Triebfeder im Leben. Das merkt man auch auf dem Arbeitsmarkt.

STANDARD: Woran?

Kopf: Junge Leute fragen das Sinnvolle stark nach: ob Jobs im Bereich des Klimaschutzes, Jobs mit sozialen Themen oder Potenzial zur Verbesserung der allgemeinen Lebensumstände. Das Rote Kreuz etwa hat – bis auf den Pflegebereich – keine Schwierigkeiten, Personal zu finden, das AMS auch nicht. Weil das, was wir machen, erkennbar sinnstiftend ist. Es ist total schön, wenn man jemandem einen Job vermittelt. Eine so positive Auswirkung aufs Leben eines anderen zu haben: Das ist cool. Das ist ja auch der Grund, warum ich noch hier bin, seit 16 Jahren schon.

STANDARD: Und: Sind Sie ein Guter?

Kopf: (lacht) Es wäre völlig unangemessen, diese Frage mit Ja zu beantworten.

STANDARD: Der meistzitierte Satz von Ihnen stammt aus der "Zeit" und lautet: "Ich bin ein Streber." Sie bereiten sich auf jeden Termin akribisch vor – tun Sie das immer noch in der Badewanne, wie in der Zeit, als Ihre Kinder klein waren?

Kopf: Ich habe mein ganzes Studium in der Badewanne verbracht, jeden Tag stundenlang in unserer Sitzbadewanne gelernt, weil ich mich dort so gut konzentrieren konnte. Und noch heute kann ich in der Badewanne besonders gut nachdenken. Bin ich ein Streber? Ich nehme die Dinge ernst.

STANDARD: Sie selbst halten Ihren Job hier für einen der besten in der Republik?

Kopf: Für mich, ja. Ich mag die Kombination Politik und Unternehmensführung, wir haben 6.500 Mitarbeiter, und mein Tätigkeitsfeld ist sehr breit. Sozialpolitik ist ein Thema, das einen nicht loslässt.

STANDARD: Unlängst hatten Sie das Angebot, in den Vorstand eines großen Unternehmens zu wechseln. Ist Ihnen die Absage leicht gefallen?

Kopf: Das hat nicht gepasst, ich habe sofort Nein gesagt. Und war dann über mich selbst erschrocken: Wie leichtfertig bin ich, dass ich über das Angebot nicht einmal nachdenke, mich mit jemandem berate oder einmal darüber schlafe? Meine Mutter sagte immer: Wenn man mehr als 100 Schilling ausgibt, muss man eine Nacht darüber schlafen.

Die FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch warf Kopf wegen dessen Eintretens für mehr Kinderbetreuung "kommunistische Umerziehungspläne" vor.
Foto: APA/Roland Schlager

STANDARD: FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch findet Sie übrigens nicht gut. Weil Sie für mehr Kinderbetreuung für ab Einjährige sind, warf sie Ihnen "kommunistische Umerziehungspläne" vor, Sie würden kleine Kinder wegnehmen, damit Frauen als Billigarbeitskräfte missbraucht werden können. Kopf, der Kommunist?

Kopf: Ein, zwei Mal im Jahr macht die Frau Abgeordnete eine Aussendung, in der ich negativ erwähnt werde. Üblicherweise kommentiere ich das nicht, aber diesmal war es wirklich deppert. Ich habe auf Twitter zurückgeschrieben: "Geht's noch?"

STANDARD: Sie wollten eigentlich Rechtsanwalt werden, die Arbeit in einer Kanzlei gefiel Ihnen aber nicht. Auch Ihr heute 88-jähriger Vater war Jurist, hat aber als Regisseur und Drehbuchautor für Werbespots gearbeitet, und ihm gehörte ein kleines Café in Wien …

Kopf: Woher wissen Sie das? Es gehört ihm immer noch. Er ist 88 und arbeitet noch. Er war früher am Theater, hat im Wiener Theater Experiment manchen Ionesco in Österreich erstaufgeführt. Dann hat er Drehbuch und Regie für Spielfilme gemacht und in den 80er-Jahren Werbespots. Den "Don Alonso Ildefonso" hat er erfunden oder den Dixan-Bus (eine Waschmittelwerbung, Anm.). Meine drei Schwestern und ich haben erlebt, dass er sehr viel Geld verdient hat und dann monatelang gar keines. Ich wollte etwas Seriöseres machen.

STANDARD: Aber wie Ihr Vater haben Sie auch eine künstlerische Ader: Sie fotografieren und haben da auch Preise gewonnen.

Kopf: Mein Vater ist viel begabter als ich. Ich habe mich zunächst für Fotos anderer interessiert, das eine oder andere gekauft. Um herauszufinden, was ein gutes Foto ausmacht, habe ich dann selbst zu fotografieren begonnen.

STANDARD: Sie fotografieren am liebsten Menschen in den Straßen sowie Architektur und haben eine Fotoserie über die alte Creditanstalt vor ihrem Umbau gemacht. Jetzt ist eine Spar-Filiale drin: der Sieg des Supermarkts über die Banken.

Kopf: Wissen Sie, warum man da Einkaufswägen über den tollen Marmorboden rollen darf?

STANDARD: Nein.

Kopf: Auch der Boden ist denkmalgeschützt, und daher darf man nicht drüberfahren. Also wurde über den alten ein neuer Marmorboden gelegt, der genauso aussieht wie der drunter. Diese Investitionen!

Wo einst der Hauptsitz der Creditanstalt war, in der Wiener Schottengasse, ist nun unter anderem ein Supermarkt untergebracht. Hobbyfotograf Kopf hat noch vor dem Umbau fotografiert.
Foto: Andy Urban

STANDARD: Haben Sie auch ein eigenes Architekturprojekt? Ihr Großvater, früher Primar in Linz, hat ja als Pensionist die Ruine Werfenstein im Strudengau gekauft und hergerichtet …

Kopf: Und hat dort bis zu seinem Tod gelebt. Seine drei Kinder haben die Burg verkauft, keiner hätte den anderen auskaufen können. Und nein, so ein Architekturprojekt habe ich nicht.

STANDARD: Bevor Sie in den AMS-Vorstand kamen, waren Sie in der Industriellenvereinigung und im Kabinett von ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein für Arbeitsmarktpolitisches zuständig. Etlichen galten Sie als schwarz-blaue Besetzung im AMS. Sie reden christlichen Werten das Wort, sind für die Gesamtschule und dafür, dass Frauen mit Kindern rasch wieder arbeiten gehen. So ein richtiger ÖVP-Mann sind Sie also nicht. Wie ordnen Sie sich politisch ein?

Kopf: Ich sehe mich eher von der Arbeitgeberseite als von der ÖVP kommend. Ich hatte damals auch schon einen Ruf als Experte, aber klar: Hätten nicht Kanzler Wolfgang Schüssel und andere gefunden, dass ich einen guten Job mache, hätte ich den AMS-Job wohl nicht bekommen. Mein Vorstandskollege Herbert Buchinger und ich sehen uns nicht als rot und schwarz, sondern eher als Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter. Das sind ja auch die zwei Beitragszahlergruppen im AMS. Bei uns im Verwaltungsrat funktioniert die Sozialpartnerschaft wirklich gut: Da wird oft lang gestritten, aber die allermeisten Beschlüsse fallen einstimmig. Und ich bezeichne mich als christlich-sozial – obwohl ich manchmal andere Meinungen habe als die ÖVP. Besonders groß wurden die Unterschiede zwischen mir und der ÖVP beim Thema Integration unter Kanzler Kurz.

STANDARD: Da wurden Sie sogar von ihm ins Kanzleramt zitiert. Stichwort Kurz: Was sagt der Arbeitsmarktexperte dazu, dass in der türkisen Ära staatsnahe Vorstände und Aufsichtsräte mit "steuerbaren" Leuten besetzt wurden? Steuerbar zu sein galt als besonders wichtige Qualifikation, wie wir aus Chats wissen.

Kopf: Es hat sich nicht bewährt.

STANDARD: Angesichts von 140.000 offenen Stellen meinten Sie jüngst, Arbeitgeber müssten "tanzen", um gute Leute an Bord holen zu können. Das bringt mich zu Ihrem zweiten Hobby: dem Auflegen. Ab und zu treten Sie als DJ "Labour MC" auf, einmal im Jahr im Wiener U4 …

Kopf: Ich lege auch daheim auf, wir hören alle gern Musik, auch unsere drei Söhne …

STANDARD: ... und Sie tanzen beim Kochen?

Mit Lou Reeds (hier 1975 in London) Song "Walk on the Wild Side" schickt DJ "Labour MC" sein Publikum im Morgengrauen nach Hause.
Foto: Copyright © MICK ROCK 2021/MIDARO/WEST-CONTEMPORARY-EDITIONS.COM via Reuters

Kopf: Manchmal. Musik hat die Fähigkeit, unheimlich schnell in der emotionalen Hälfte anzukommen. Vielleicht hilft mir das Auflegen auch beim Stressabbau – wobei ich davor immer extrem aufgeregt bin. Mehr als vor einem Auftritt in der ZIB2. Das Auflegen ist totale Konzentration und echte Arbeit für mich. Da will ich, dass die Leute tanzen und alle Spaß haben. Mir taugt das dann auch – ich komm dann auch in den richtigen Groove.

STANDARD: Letzter Song im Morgengrauen ist immer Lou Reeds "Walk on the Wild Side"?

Kopf: Ja, mein Lieblingslied. Ist aber nichts zum Tanzen, sondern wenn die Leute langsam heimgehen. Das spiel ich für mich.

STANDARD: Tanzen ist wie guter Sex, sagten Sie sinngemäß im "Kurier". Was ist dann das Auflegen?

Kopf: Ah! Das Abendessen und der Rotwein?

STANDARD: Letzte Frage, obwohl die jetzt der ORF im "Sommergespräch" abkupfert …

Kopf: Nein, das ist Ihre Frage.

STANDARD: Worum geht's im Leben?

Kopf: Bei jedem um ein bissl was anderes. Aber um das Gute und um die Liebe. (Renate Graber, 13.8.2022)