Foto: Screenshot TikTok

"Des ignorier ma net amoi!" Diesem Satz von Karl Valentin möchte man folgen, wenn einer Tiktok-Videos dieses Kalibers unterkommen: Eine junge Frau mit wachem Blick erzählt uns von ihrer "dunklen" Vergangenheit als wütende Feministin mit blauen Haaren. Dass sie damals doch tatsächlich dachte, dass männliche Privilegien real seien und sie ein Opfer des Gender Pay Gaps sei. Jetzt meint sie es besser zu wissen und teilt ihre "Erkenntnisse" mit etwa 340.000 Follower:innen, die dazu sagen: Herzchen! Mit dabei ist in dem Video mit dem flotten Titel "Feminist vs Reality" dann auch noch die Verschwörungserzählung, nach der es "den Herrschenden" nicht gepasst hätte, dass Frauen keine Steuern zahlen, weil sie daheim bei Mann und Kind bleiben – und dass diese deshalb auf den Arbeitsmarkt getrieben wurden und so zum Steuerzahlen gebracht und ihrer mütterlichen Instinkte beraubt wurden. Aha, wir haben es also mit einer Art kapitalistischem Staats-Feminismus zu tun. Sanfte Klaviermusik untermalt den hier verzapften Unsinn.

Nun, wie können es so sehen: Das ist halt neben den vielen coolen feministischen, queeren Tiktok-Accounts auch Tiktok. Wir müssen also angesichts dieses und gar nicht weniger ähnlicher Videos nicht gleich in düsteren Kulturpessimismus verfallen. Andererseits wird derlei Schwachsinn wohl vor allem jungen Leuten erfolgreich angedreht. Und bis Online-Plattformen demokratiefeindliche Inhalte, Hassrede, Rassismus, Sexismus und Homophobie auch nur halbwegs ernstzunehmend in den Griff bekommen – was voraussichtlich wohl nie passieren wird, immerhin bringt ihnen genau das ziemlich viel Geld –, nützt es nichts: Sie sind da, und sie werden massenhaft konsumiert.

Genau deshalb müssen Kinder und Jugendliche mit umfassender politischer Bildung gewappnet werden. Nur so können sie hanebüchene Erzählungen durchschauen. Doch insbesondere bei sozial- und gesellschaftspolitischen Themen gibt hier noch reichlich Luft nach oben. Die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch führte vor vier Jahren eine Umfrage bei knapp 300 Schüler:innen im Alter von 13 und 15 Jahren zu ihrem Wissen über Mädchen- und Frauenrechte durch. Ihre Kenntnisse über die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in Österreich oder das (theoretische) Verbot von Lohndiskriminierung war enden wollend. Befragt wurden die Schüler:innen auch, ob und wie viel sie generell über Frauenrechte im Unterricht hören. Über 40 Prozent gaben an, dass in ihrem Unterricht noch nie über das Thema gesprochen wurde oder sie sich zumindest nicht mehr daran erinnern könnten.

Ignorieren ist nicht leistbar

So etwas ist alles andere als ein kleines Manko. Wie zentral das Wissen um Frauenrechte und auch um Gleichstellungskämpfe von LGBTQI sind, zeigen auch Entwicklungen in antidemokratischen Staaten, die genau dort ansetzen, um autokratische Kräfte zu pushen. So beschreibt Russlandexpert:in Masha Gessen in ihrem Buch "Die Zukunft ist Geschichte: Wie Russland die Freiheit gewann und verlor", wie wesentlich es für Wladimir Putin seit vielen Jahren war, die LGBTQI-Bewegung als westliche Bedrohung und den Feind schlechthin zu inszenieren. Ein Feind, der Familien zerstöre, Kinder bedrohe und "wahre" Männlichkeit und Weiblichkeit vernichten würde – was immer das auch sein soll. Auch unsere freundliche Tiktokerin, der abertausende Jugendliche zuhören, sieht es so: Feminismus würde "Maskulinität" zerstören.

Derlei dumme Erzählungen über eine der wichtigsten politischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts sind uralt, und es ist ermüdend, sie ständig in einer nur leicht abgeänderten Variante und in abwechselnden Kanälen immer wieder hören zu müssen. Da ist es nur nachvollziehbar, es einfach ignorieren zu wollen. Doch diese Erzählungen sind gefährlich. Ignorieren können wir uns leider nicht leisten. (Beate Hausbichler, 17.8.2022)