Es helfe niemandem, "wenn Börsen und Märkte zu Schuldigen aufgebaut werden", schreibt Neos-Lab-Direktor Lukas Sustala in seinem Gastkommentar zum Thema Strompreise. Er reagiert auf einen Text des Ökonomen Stephan Schulmeister.

Wir haben ein Problem in Europa: Die jahrelang gepflegte Abhängigkeit von Russland für Gasimporte fliegt uns um die Ohren, weil ein ehemals zuverlässiger Lieferant aus seiner Marktmacht eine ökonomische Waffe gemacht hat. Auch wenn Europa keine Sanktionen gegen die Gas- und Energiewirtschaft Russlands verhängt hat, so hat der Kreml seinerseits die Lieferungen in Reaktion auf die EU-Unterstützung der Ukraine massiv gedrosselt. Länder, die allzu harsche Sanktionen umgesetzt haben, bekommen gar kein Gas mehr.

Doch Gas ist nicht einfach irgendein Energieträger, aus dem Gas- ist längst auch ein Stromproblem geworden. Denn die explodierenden Gaspreise betreffen auch die Stromproduktion und haben so die Energiepreise massiv verteuert. Am Montag haben die Strom- und Gaspreise gemeinsam wieder neue Rekorde verzeichnet. Gazproms Drosselungen haben also zusammen mit einer Reihe von anderen Faktoren – einer Rekorddürre etwa – zu einem "perfekten Sturm" auf dem Strommarkt geführt. Die Preise für eine Megawattstunde Energie sind an den Großhandelsmärkten auf ein Vielfaches gestiegen.

Wie soll man die explodierenden Strompreise in den Griff bekommen? Liegt es an den Börsen? Oder doch nicht?
Foto: APA / Helmut Fohringer

Wenn man nun aber bei Stephan Schulmeister nachliest, dann besteht das Problem an einer sehr speziellen Stelle. Denn für die Strompreisexplosion macht er wortreich die Rolle der Börsen für die Strompreise und die Liberalisierung der Strommärkte verantwortlich, "systemische Ursachen" nennt er sie. Märkte würden zu Übertreibungen neigen, und diese Übertreibungen werden für die Konsumenten dann zur Inflation. Die "Deregulierungseuphorie", schreibt Schulmeister, und der neoliberale Finanzkapitalismus hätten die aktuelle Lage verschärft.

Doch bei seiner Argumentation wackelt der Schwanz oft mit dem Hund. Denn auch wenn er die Börsen für die enorme Volatilität bei den Strompreisen verantwortlich macht, so kann man die fundamentalen Ursachen für die aktuelle Krise nicht von der Hand weisen. Strompreise sind nicht allein deswegen so viel höher, weil an den Börsen etwas mit dem Preisbildungsmechanismus nicht klappt. Sie sind auch die Folge davon, dass in Frankreich zu viele Atomkraftwerke wegen der Dürre vom Netz genommen werden mussten, weil das Wasser für die Kühlung fehlt.

Fundamentale Ursachen

Strom ist auch deswegen teurer, weil die Flüsse wie der Rhein so wenig Wasser führen, und die Kohle, die nötig ist, um das Gas in den Kraftwerken zu ersetzen, somit teurer durch Europa transportiert werden muss. Und nicht zuletzt sind die massiv gestiegenen Strompreise damit auch die Folge der russischen ökonomischen Kriegsführung gegen die EU, weil wir eben immer noch Gas benötigen, um Strom zu produzieren.

Es hilft niemandem, wenn Börsen und Märkte zu Schuldigen aufgebaut werden, aber die fundamentalen Ursachen und Fehler der Energiepolitik woanders liegen. Österreich und Deutschland haben sich zu abhängig gemacht von Pipeline-Gas und daher Investitionen in erneuerbare Energien und die Netzinfrastruktur hintangehalten. Die Energiewirtschaft mag vielleicht viele Terawattstunden an Projekten in der Schublade haben, aber das hilft niemandem, wenn sie von Bürokratie und Bewilligungsverfahren auf Jahre hinaus blockiert werden.

Natürlich gilt es, auf europäischer Ebene daran zu arbeiten, um die Preise für Gas von den Strompreisen zu entkoppeln. Das braucht nicht nur den Ausbau alternativer Energieträger, sondern kurzfristig wohl auch Reformen bei der Preisbildung, um die teuren Gaskraftwerke etwas weniger teuer oder preissetzend zu machen. Es ist daher zu begrüßen, dass die EU-Kommission gerade Vorschläge erarbeitet, um die Preisbildung zu reformieren, und so die Strompreise von ihren Spitzen herunterbekommt.

Doch gerade ein Land wie Österreich, das auf Stromimporte angewiesen ist, muss darauf achten, dass die Pläne auch europaweit umgesetzt und realistisch sind. Alleingänge könnten die Versorgungssicherheit gefährden. Denn es wäre ein großer Irrtum, dass das zugrunde liegende Problem auch nur ein wenig kleiner wird, wenn Börsen und Märkte zu Sündenböcken erklärt werden. (Lukas Sustala, 23.8.2022)