Die geplante ORF-Digitalnovelle wirkt noch recht unklar – die Neos vertagten ihre Enquete dazu.

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Wien – Für 13. September planten die Neos eine Enquete über den ORF und seine künftige Rolle und Finanzierung. Nun allerdings sagten sie die Veranstaltung vorerst ab – mit Hinweis darauf, dass das neue ORF-Gesetz derzeit noch in Verhandlung sei.

Brandstötter und die Abschaffung der "blauen Seite"

Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter plante die Enquete – sie ließ in den vergangenen Monaten mehrfach mit der Forderung nach Abschaffung von ORF.at aufhorchen, etwa hier im STANDARD-Interview im Juli 2021 oder zuletzt in einem Gastkommentar in "Profil".

Das neue ORF-Gesetz sei aktuell noch in Verhandlung, deshalb vertage man die Veranstaltung, bis die Vorschläge vorlägen und das Gesetz in Begutachtung gehe, erklärten die Neos die Absage.

"Viele Bälle in der Luft"

Brandstötter erklärt die vorläufige Absage auf STANDARD-Anfrage so: Die Verhandlungen für ein neues ORF-Gesetz ziehen sich länger als erwartet. In der Medienpolitik sind aktuell viele Bälle in der Luft. Ich will aber keine Jonglierübung, sondern konkrete medienpolitische Arbeit."

Die Neos-Mediensprecherin: "Damit die Branche sinnvoll weiterarbeiten kann, müsste die Medienministerin endlich einige dieser Bälle ins Ziel bringen. Dazu gehört – neben den erweiterten Möglichkeiten für den ORF sowie dessen Finanzierung – Transparenz und klare Vergaberegeln bei Inseraten der öffentlichen Hand, Presse- und Medienförderung nach sinnvollen Kriterien, Kommunikation zur Zukunft der 'Wiener Zeitung', ernsthaftes Interesse an der Bekämpfung von Fake News einerseits und dem Aufbau von Medienkompetenz bei den Bürgerinnen und Bürgern anderseits."

Digitalnovelle

Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) und ihr Kabinett verhandeln einerseits mit dem Regierungspartner Die Grünen, anderseits mit Branchenverbänden, insbesondere dem Zeitungsverband VÖZ und dem Privatsenderverband VÖP, sowie mit dem ORF.

Der ORF drängt auf eine Digitalnovelle seines Gesetzes, die ihm etwa eigene Streamingformate und mehr als sieben Tage Abruf ermöglichen sollen. Bis dato darf der ORF nur für TV und Radio produzieren und nach Sendung online zum Abruf anbieten. Ausnahme sind etwa sendungsbegleitende Inhalte.

"Zeitungsähnliches" ORF.at

Private Medienhäuser verlangen im Gegenzug deutliche Einschränkungen insbesondere des Textangebots auf ORF.at, das verlegerischen Medienunternehmen "zeitungsähnlich" Konkurrenz mache. Verhandelt wurde etwa über Limits für Meldungszahl und Meldungslängen auf ORF.at sowie Login auf der Seite – teils mit GIS-Nachweis. Eine Einigung oder ein Kompromiss zeichnet sich bisher – soweit von außen zu erkennen – nicht ab.

Der Verfassungsgerichtshof gab dem Gesetzgeber Mitte Juli gleich noch eine Aufgabe mit: Bis Ende 2023 braucht es nun auch eine Neuregelung der GIS. Die Höchstrichter entschieden: GIS-freies Streaming wie bisher sei verfassungswidrig, eine so wesentliche Nutzungsmöglichkeit für ORF-Inhalte könne man nicht einfach von den Programmentgelten ausnehmen.

Haushaltsabgabe oder Geräte-Definition

Damit war die Diskussion eröffnet, ob der ORF künftig über eine Haushaltsabgabe für alle finanziert werden soll (wie die Öffi-Sender in Deutschland und der Schweiz). Oder ob der Gesetzgeber zum Beispiel all jene Geräte auflistet, die gebührenpflichtig werden sollen – Streaming am Bildschirm daheim ja, am Mobiltelefon nein zum Beispiel. Bisher ist nur "stationärer" Rundfunkempfang gebührenpflichtig, nicht aber mobiler.

Digitalnovelle oder große Reform?

Mit dem GIS-Entscheid der Höchstrichter stellt sich nun die Frage: Regelt der Gesetzgeber mit der geplanten Novelle auch gleich die künftige Finanzierung des ORF? Der Variante dürften die Grünen zuneigen, deren Mediensprecherin Eva Blimlinger schon lange eine Haushaltsabgabe befürwortet. Oder konzentriert man sich nun auf eine Digitalnovelle des ORF-Gesetzes und lässt sich für Debatten über GIS, Haushaltsabgabe und Co noch Zeit bis zur Frist des Verfassungsgerichtshofs, also Ende 2023? Die Variante scheint der – einer Haushaltsabgabe bisher skeptisch gegenüberstehenden – ÖVP und ihrer Medienministerin Susanne Raab sympathischer zu sein.

Der Gesetzgeber könnte auch einfach die Aufhebung der Gesetzespassagen über die Programmentgelte per Ende 2023 abwarten; dann würden alle Empfangsmöglichkeiten gebührenpflichtig, aber es würden auch bisherige Ausnahmeregelungen fallen.

Erst Journalismusförderung und Regierungsinserate

Weiter als bei der ORF-Novelle wirkt die Koalition bei zwei weiteren größeren Vorhaben der Medienministerin: Sie hat bei Dienstantritt Anfang 2022 eine Reform der Regelungen für Werbung öffentlicher Stellen – Stichwort: Medientransparenz – und der Medienförderungen angekündigt. Beide könnten in den nächsten Wochen vorliegen.

Beim Medienkooperations- und -förderungs-Transparenzgesetz (MedKF-TG), das Werbung öffentlicher Stellen und Informationen darüber regelt, sollen ÖVP und Grüne zuletzt vor allem über eine Deckelung der Werbung von Regierung und Ländern (nicht aber öffentlichen Firmen) verhandelt haben. Kolportiert wurde ein Limit pro Einwohnerin und Einwohner – für Bund, aber auch Länder.

Limit für Wien

Die diskutierten Limits würden nach STANDARD-Infos vor allem Wiens Werbespendings beschränken. Die Stadt gibt – noch ohne stadteigene Firmen wie Wien Energie und Wiener Linien – pro Jahr gut 24 Millionen Euro für Werbung aus, die übrigen Länder gemeinsam rund 15 Millionen Euro.

Die geltende Bagatellgrenze für Meldungen von Werbebuchungen öffentlicher Stellen, derzeit 5.000 Euro pro Quartal, soll fallen oder reduziert werden; Ausnahmen für aperiodische Medien von der Meldepflicht sollen fallen.

Journalismusförderung neben Presseförderung

Im Gegenzug plant die Koalition eine zusätzliche Journalismusförderung, offenbar neben der existierenden und von der EU bei Österreichs Beitritt akzeptierten Presseförderung.

Die Förderung soll sich, mit Obergrenzen oder Einschleifregelungen für besonders große Redaktionen, an der Zahl der angestellten Journalistinnen und Journalisten bemessen. Kolportiert werden mehrere Tausend Euro pro Kopf, ab einer Obergrenze von beispielsweise 100 Journalistinnen und Journalisten reduziert.

Die zusätzliche Medienförderung könnte nach früheren STANDARD-Infos 20 bis 25 Millionen Euro umfassen.

Medienministerium und grüne Mediensprecherin antworteten bisher nicht auf STANDARD-Anfragen vorige Woche über den Stand und Fortschritt der Gesetzesvorhaben. (fid, 30.8.2022)