Die Harmonie zwischen Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Vizestadtchef Christoph Wiederkehr (Neos) ist spätestens seit Bekanntwerden der Probleme der Wien Energie vorbei.

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Bislang ist die Zusammenarbeit zwischen der SPÖ und den Neos in Wien, der ersten rot-pinken Koalition auf Landesebene, großteils friktionsfrei verlaufen. Der Honeymoon in der "Fortschrittskoalition", wie sich die Stadtregierung selbst vermarktet, ist aber vorbei.

Dafür verantwortlich ist die Kommunikation – oder besser gesagt die Nicht-Kommunikation – rund um die finanziellen Probleme bei der Wien Energie. Für den Juniorpartner Neos, der sich auf allen Ebenen Transparenz auf die Fahnen heftet, war das Vorgehen von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) jedenfalls ein Affront.

Es beginnt beim ersten Darlehen in Höhe von 700 Millionen Euro, das Ludwig der Wien Energie in Eigenregie bereits am 15. Juli genehmigt hat. Der Bürgermeister berief sich dabei auf die Notkompetenz, die ihm die Stadtverfassung einräumt. Am vergangenen Montag flossen weitere 700 Millionen Euro – ebenfalls von Ludwig mittels Notkompetenz freigegeben.

Bei einem Mediengespräch zur Causa am Dienstag musste sich Stadtchef Michael Ludwig (SPÖ) erklären.
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Der pinke Koalitionspartner wurde vor vollendete Tatsachen gestellt. Neos-Chef Christoph Wiederkehr wurde erst "nachträglich" über die zwei Kreditrahmen – immerhin 1,4 Milliarden Euro – informiert, wie ein Sprecher des Vizebürgermeisters zum STANDARD sagte. Verhandlungen oder Gespräche im Vorfeld hat es nach Auskunft der Neos dazu nicht gegeben.

Angriffiger Wiederkehr

Immerhin erfuhr Wiederkehr direkt nach dem Beschluss Mitte Juli vom Darlehen – und damit eineinhalb Monate früher als die Öffentlichkeit. Dass es eine Schieflage bei der Wien Energie gibt, habe Wiederkehr selbst aber erst am Wochenende durch die Medien erfahren, sagte sein Sprecher. Davor habe es keinerlei Informationen über die Schieflage gegeben. Sondern eben lediglich darüber, dass Ludwig per Notkompetenz Darlehen freigegeben hat.

Wiederkehr selbst griff am Dienstag den roten Koalitionspartner an. Er bezeichnete das Krisenmanagement als "unzureichend" und monierte fehlende Transparenz. Auf langfristige Sicht, schrieb Wiederkehr auf Twitter, "müssen sich auch die Regularien und Gesetze ändern". Ob dies auch eine Änderung der Notkompetenz für den Wiener Bürgermeister bedeutet, darauf wollte Wiederkehr vorerst nicht eingehen.

Seit Beginn der Corona-Pandemie machte Bürgermeister Ludwig fünfmal von dieser Kompetenz Gebrauch. Auch der Gastro-Gutschein oder die Ukraine-Soforthilfe seien so in die Wege geleitet worden, sagte ein Sprecher Ludwigs.

Der Bürgermeister kann sich in dringlichen Fällen auf die Notkompetenz berufen, wenn Entscheidungen im Gemeinderat, in Ausschüssen oder im Stadtsenat ohne Nachteil für die Sache nicht abgewartet werden können. Im Ö1-"Morgenjournal" am Donnerstag verteidigt Ludwig die Freigabe der Gelder über die Notkompetenz, obwohl diese auch durch einen Umlaufbeschluss mit dem Stadtsenat möglich gewesen wäre. Ludwig spricht von notwendigen Vorbereitungen einer solchen "schwerwiegenden Maßnahme". Als Milliardenaffäre wollte Ludwig die Causa im "Morgenjournal" allerdings nicht bezeichnen, da "noch kein Euro Steuergeld benötigt" wurde.

Aussprache im Rathaus

Aus Neos-Kreisen ist jedenfalls zu hören, dass der Umgang mit der Notverordnungskompetenz des Bürgermeisters evaluiert werden solle. Über den Hintergrund für solche Millionenbeträge, wie sie Ludwig eigenhändig an die Wien Energie weitergereicht hatte, will der Koalitionspartner künftig Bescheid wissen.

Sowohl bei den Neos als auch bei der SPÖ sieht man die Koalition in Wien trotz allem nicht gefährdet. Die Stimmung ist aber angeknackst: Bei den Liberalen spricht man von einem Vertrauensbruch der Genossen. Und die SPÖ wiederum empfindet die Kritik der Neos nicht gerade als "feine Art".

Das Vertrauen zwischen SPÖ und Neos sei durch die Krise "nicht gestärkt" worden, befand die pinke Bundesparteichefin Beate Meinl-Reisinger.
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Beate Meinl-Reisinger, Neos-Chefin im Bund, befand, dass das Vertrauen durch die Affäre "nicht gestärkt" worden sei. Die Pinken glauben aber, dass nur ein enger Kreis um Ludwig und Finanzstadtrat Peter Hanke von den Millionengeldspritzen gewusst habe. Innerhalb des Juniorpartners versucht man nun, das Beste aus der Situation zu machen, und mahnt bei der Bürgermeisterpartei sehr deutlich ein, die Causa aufzuklären.

Gelegenheit für ein klärendes Gespräch gab es bereits am Mittwoch: Neos und SPÖ kamen im Rathaus zu einem Treffen der Stadtregierungskoordinatoren zusammen. (David Krutzler, Jan Michael Marchart, Stefanie Rachbauer, 1.9.2022)