Verarbeitetes Tierfutter ist in Österreich nur selten garantiert frei von gentechnisch veränderten Pflanzen.
Foto: Verein ARGE Pute Österreich

In Österreich ist Gentechnik ein Reizthema. "Ohne Gen" ist hierzulande ein Qualitätssiegel, und nicht nur Umweltschutzorganisationen, auch der Lebensmittelhandel warnt vor einer von der "Saatgut-Lobby" forcierten Deregulierung. Andere warnen sogar, genetisch modifizierte Tiere könnten sich mit anderen Spezies paaren, die Erbinformation weitergeben und die ursprüngliche Art damit ausrotten.

"Ohne Gen" ist wie "ohne Chemie" ein verkürztes Label für das Vermeiden von etwas Unerwünschtem, das sich oft nicht so klar fassen lässt. Als Gentechnik galt bis vor ein paar Jahren das Einbauen von fremdem Erbgut in die DNA eines Organismus – prominent in Szene gesetzt etwa bei leuchtenden Mäusen. 2018 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem wegweisenden Urteil, dass Pflanzen auch dann in diese Kategorie fallen, wenn keine fremde DNA eingebracht wird, sondern in ihren Genen künstliche Mutationen herbeigeführt wurden. Darunter fallen auch Pflanzen, die mit der sogenannten Gen-Schere verändert wurden.

Mit der Gen-Schere ist die Methode CRISPR/Cas9 gemeint, für die 2020 der Nobelpreis für Chemie vergeben wurde. Damit wurde, durch Verwendung einer Art von zelleigenem Immunsystem, das Verändern von Genen so einfach und präzise wie nie zuvor. Der Methode wurde revolutionäres Potenzial für die Biologie mit Auswirkungen auf die Landwirtschaft vorhergesagt – eine Revolution, die sich inzwischen vollzieht.

Das bringt auch Herausforderungen für die Regulierungsverfahren. Was gilt als eine gentechnische Veränderung und was nicht? Mutationen im Erbgut sind ein natürlicher Prozess, der für Züchtungen manchmal durch Strahlung oder DNA-schädigende Bestrahlung beschleunigt wurde. Manche der so entstandenen Pflanzen sind heute Bestandteil von Bio-Landwirtschaft und wurden aus Traditionsgründen von Regulierungen ausgenommen. Mit CRISPR/Cas9 sind solche Änderungen nun kontrollierter möglich, doch gerade die so entstandenen Pflanzen fallen unter das Urteil von 2018. Ihr Anbau ist in den meisten EU-Staaten, unter anderem in Österreich, verboten.

Gentechnisch veränderter Mais wie hier in Ramin im deutschen Landkreis Uecker-Randow sieht ganz normal aus. Und tatsächlich sind bei einigen neuen Gentechnikmethoden die veränderten Organismen von natürlich mutierten nicht mehr zu unterscheiden.
Foto: Patrick Pleul dpa

Unpräzise Regulierungen

Eine Gruppe um den Forscher Fred Gould kritisiert die derzeitigen Regulierungen nun als zu unpräzise. Ob und mit welcher Methode eine Pflanze gentechnisch verändert wurde, sage zu wenig über ihre Gefährlichkeit aus, um als Ausgangspunkt für Regulierungen zu dienen. Die Kritik fußt auf der Tatsache, dass sich Pflanzen, die durch Methoden wie CRISPR/Cas9 entstanden sind, nicht mehr von "natürlich" mutierten Pflanzen unterscheiden lassen.

Die Forschenden plädieren nun in einer im Fachjournal "Science" publizierten Arbeit dafür, jede neu gezüchtete Pflanze einer genetischen Analyse zu unterziehen – egal ob sie aus einer "natürlichen" Züchtung oder aus gentechnischer Veränderung stammt. Sie fordern eine "produktbasierte" Zulassung, bei der allein die Neuartigkeit der bei der Züchtung erreichten Merkmale entscheidet.

Der Vorschlag sieht ein System aus vier Kategorien vor, von unbedenklich bis hin zu Pflanzen, deren Einschätzung schwierig ist und die deshalb verschärften Sicherheitsvorkehrungen unterzogen werden sollten. Die Kategorien eins und zwei sollen eine ungehinderte Sortenzulassung erlauben.

Die Prüfung jeder einzelnen Pflanze wäre in diesem Sinn keine Deregulierung, sondern unter Umständen sogar eine Verschärfung. Sie deckt sich übrigens mit Forderungen von Greenpeace nach einer individuellen Prüfung jeder neu zugelassenen Pflanze. Sie würde allerdings gentechnischen Veränderungen keine besonders zu berücksichtigende Gefahr mehr bescheinigen. Konventionelle Zuchtverfahren und gentechnische Veränderungen würden gleichwertig behandelt, Konflikte scheinen also vorprogrammiert.

Wahlfreiheit für Landwirtschaftsbetriebe

Tatsächlich gibt es auch Kritik an dem neuen Vorschlag. Sofern überhaupt technisch möglich, sei die Überprüfung "komplexer, zeitaufwendiger und teurer" als in der Studie dargestellt, da verschiedene Umgebungen berücksichtigt werden müssten, sagt Margret Engelhard vom Bundesamt für Naturschutz in Bonn.

Die Kritik an Gentechnik beschränkte sich allerdings nie nur auf schlecht verstandene Risiken. Gentechnik wird auch als Mittel zur Ausweitung der Marktmacht von Großkonzernen verstanden, die gentechnisch verändertes Saatgut schützen lassen und damit ihre Kundschaft abhängig machen. Etwas weniger dramatisch formuliert es Margret Engelhard, die dennoch Wahlfreiheit für Landwirtschaftsbetriebe einfordert, ob sie konventionell, biologisch oder mit Gentechnik arbeiten wollen. Die Koexistenz verschiedener Anbausysteme "ist gesetzlich verankert und muss auch künftig sichergestellt sein". Dieser Aspekt werde in dem nun publizierten Vorschlag nicht berücksichtigt.

Österreich verbietet generell die Aussaat gentechnisch veränderter Pflanzen im Sinn des EuGH-Urteils von 2018, in der EU bauen nur Portugal und Spanien kommerziell gentechnisch veränderten Mais an. In Österreich geht die Angst vor Gentechnik so weit, dass bei landwirtschaftlichen Förderanträgen ein Verzicht auf den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen erklärt werden muss – obwohl der Anbau ohnehin verboten ist. Gentechnisch veränderte Lebensmittel sind jedoch zugelassen und müssen in Österreich gekennzeichnet werden. Nicht so Tierfutter: Bei Futtermitteln aus Soja gibt es aber nur wenige Hersteller, die in Österreich Gentechnikfreiheit garantieren. Generell ist hier die Verwendung von genmanipuliertem Futter ohne Kennzeichnung möglich und legal – allerdings nicht bei Lebensmitteln, die ein Bio-Label haben.

Abhängigkeiten von saatgutproduzierenden Unternehmen, wie sie durch genmanipuliertes Saatgut entstehen könnten, sind in der heimischen Landwirtschaft bereits Normalität. Hybridsorten, die nach einmaligem Anbau nicht weiter vermehrbar sind, sind auch in Österreich gängig. Und bei gezüchteten Sorten verhindert der Sortenschutz, selbst Samen zu produzieren und wieder auszusäen – das Verbot dazu findet sich auf der Etikettierung.

Verschiedene historisch gewachsene Überzeugungen mischen sich hier also mit neuen, noch zu wenig bekannten Technologien. Die Forschenden fordern nun einen öffentlichen Diskurs und die Etablierung eines sinnvollen regulatorischen Regimes. (Reinhard Kleindl, 2.9.2022)