Der nun doch veröffentlichte Bericht über die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang sendet zwei Signale aus. Das eine ist positiv. Nach einem langen Tauziehen hat sich die scheidende UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michele Bachelet, schließlich doch dazu entschieden, einen Bericht zu veröffentlichen, der die gravierenden Missstände klar benennt. Von schweren Misshandlungen und sexueller Gewalt gegen Uiguren und andere Minderheiten ist die Rede.

Die massivsten Menschenrechtsverletzungen unserer Zeit zu benennen war bitter nötig.
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Zwar sind Journalisten und Menschenrechtsaktivistinnen die Zustände in der westlichen chinesischen Provinz seit langem bekannt. Auch hätte der Bericht die Missstände klarer ansprechen können. Aber es ist gut, dass nun ein Uno-Gremium diese benennt. Dem Grauen einen Namen zu geben ist der erste Schritt, um aktiv etwas dagegen zu tun.

Natürlich schert der Bericht das chinesische Regime, das das Lagersystem und die digitale Überwachung seit Jahren leugnet, wenig. Präsident Xi Jinping wird deswegen weder die Lagerhaft noch die Überwachungsdystopie beenden. Wirkung aber könnte der Bericht in Ländern entfalten, die noch erwägen, Uiguren nach China auszuliefern. Dazu zählen auch viele islamische Staaten, die sich sonst gerne auf muslimische Solidarität berufen, wenn es ihren machtpolitischen Interessen dient, bei den Uiguren aber schweigen. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan erwägt Auslieferungen, obwohl Türken und Uiguren nicht nur Glauben, sondern auch Sprache und Kultur teilen.

Jede Auslieferung nach China, die verhindert werden kann, verhindert großes Leid. Und vielleicht rafft sich die eine oder andere Compliance- und Social-Governance-Abteilung in internationalen Großkonzernen nun doch auf, ihre Xinjiang- und China-Aktivitäten zu überdenken.

Zu großer Einfluss Chinas

Das zweite Signal, das dieser Bericht aussendet, ist weniger positiv. Lange, zu lange hat es gedauert, bis er endlich veröffentlicht wurde. Dabei forderten Menschenrechts- und Exilgruppen dies seit Monaten. Nicht nur, dass Peking seit Jahren gewaltige Propagandaanstrengungen unternimmt, der Welt Potemkinsche Dörfer zeigt – es ist dem Regime auch gelungen, andere Regierungen vor seinen Karren zu spannen. UN-Kommissarin Bachelet sagte in ihrem Abschlussstatement, sie habe zwar einen Brief von 40 Regierungen erhalten, die auf eine Veröffentlichung des Berichts drängten. Aber es gab eben auch viele Staaten, die sich mit Peking "solidarisierten". Auch die Tatsache, dass Bachelet die letzten Minuten ihrer Amtszeit abwarten musste, um den Bericht zu veröffentlichen, zeigt, wie groß der Einfluss von Chinas KP in internationalen Gremien schon ist.

Von großem Druck, der auf sie ausgeübt wurde, sprach Bachelet. Dass sich die Vereinten Nationen und deren Mitgliedsstaaten auf ihre Werte besinnen und nicht von einem mächtigen Regime davon abschrecken lassen, die massivsten Menschenrechtsverletzungen unserer Zeit zu benennen, war gerade deswegen bitter nötig. In diesem Sinn war es wirklich "fünf vor zwölf", dass die Uno den Bericht veröffentlicht hat. (Philipp Mattheis, 1.9.2022)