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"Internetguru" wird er genannt, "schlimmster Influencer aller Zeiten" und die kurzzeitig "meistgegoogelte Person der Welt": In einer bemerkenswert kurzen Zeitspanne hat sich der ehemalige Profikickboxer Andrew Tate einen Namen als "Life-Coach" für junge Männer gemacht, die sich nach Geld, Macht und vor allem Erfolg bei Frauen sehnen. Die Masche, die er dabei anwendet, ist altbekannt.

Sehr viele optimierte Bilder und Videos von "Mein Haus, mein Auto, mein Pferd. Meine Reisen, meine Zigarren, meine sehr jungen Sexpartnerinnen". Sehr viel Misogynie. Tate ist also schon wieder einer dieser Typen, die ihren angeblichen Erfolg zur Schau stellen, dabei ihre Hypermaskulinität betonen und nicht müde werden, Frauen als Eigentum von Männern darzustellen. Als unterwürfig. Unterlegen. Unselbstständig. Dekoration. Sexobjekte.

Und diejenigen, die ihm diesen Schwachsinn im wörtlichen und im übertragenen Sinn abkaufen, werden angehalten, andere als zahlungskräftige Follower und Fans zu rekrutieren. Ich schreibe "schon wieder", weil diese Masche schon seit Jahren verfängt. Vor acht Jahren habe ich an dieser Stelle über die Umtriebe des selbsternannten Pick-up-Artists Julien Blanc geschrieben.

Geschäftsmodells Misogynie

An dem Grundprinzip des Geschäftsmodells Misogynie hat sich seitdem nicht viel verändert: Irgendwelche Hampelmänner legen ihre Blenderware auf den Präsentiertischen der sozialen Netzwerke aus und verticken ihre frauenverachtenden Lächerlichkeiten durch ein Schneeballsystem an junge Männer, die sich nur allzu gerne blenden lassen, weil es ihnen selbst alles andere als blendend geht.

Ein Unterschied zu damals besteht darin, dass heute alles noch schneller und reichweitenstärker vonstattengeht. Ein weiterer darin, dass die Plattformen, auf denen diese Hampelmänner agieren, sie heute schneller von ihren Seiten verbannen. Diese Erfahrung durfte Andrew Tate gerade mit Meta machen, dem Mutterkonzern von Facebook und Instagram. Nur ist das noch lange nicht genug.

Denn zum einen sind es gerade die sozialen Netzwerke und Videoplattformen, die es diesen Hampelmännern so lange ermöglichen, eine eigene Fanbase zu etablieren und an sich zu binden, bis die Männeregoverwertungsmaschine auch anderswo und ohne sie halbwegs einträglich läuft. Zum anderen interessieren sich die Verantwortlichen nur insofern für dieses Thema, als es für sie geschäftsschädigend ist. Primär geht es darum, sie zu emotionalisieren, damit sie möglichst viel Zeit auf den Seiten verbringen. Sich beteiligen, Werbung gucken, Dinge kaufen, andere Leute dazu motivieren, sich auch zu beteiligen.

Leicht austauschbar

Es gibt aber noch einen wichtigeren Grund, warum das Deplatforming von Hampelmännern nicht genug ist. Denn so widerlich Andrew Tate in seinen Ansichten und seinem Gebaren auch sein mag, ist er nicht das eigentliche Problem. Tate ist austauschbar. Er ist nur ein weiteres Streichholz, mit dem erneut ein schier unerschöpfliches Reservoir an leicht brennbaren jungen Männern für Frauenhass und Allmachtsfantasien entflammt.

Er und seinesgleichen ernten, was wir alle säen. Das Hampelmannpublikum steht nämlich schon bereit und wartet auf die Verkaufsshow des nächsten "Stars". Wir haben den Geschmack dieses Publikums mit Sexismus und Anspruchshaltung geprägt. Wir haben die Eintrittskarten gekauft. Wir stellen Bühne und Beleuchtung, wir geben Geld für Merchandise mit. Wir sorgen dafür, dass, wer auch immer gerade da vorne steht, den altbewährten Mix aus "Sei nicht so ein Waschlappen wie die anderen!", "Du bist Alpha!!" und "Behandle Frauen wie Schmutz, dann sind sie dir gefügig!!!" mit Erfolg durchziehen kann.

Wir verstoßen Jungen aus ihren eigenen Gefühlswelten, um uns wenig später darüber zu wundern, dass sie kaum Mitgefühl mit Menschen aufbringen, die sie laut dem aktuellen Hampelmann ausnutzen und verachten sollten. Deshalb reicht es auch nicht, Typen wie Andrew Tate zu deplatformen und ihnen das Handwerk zu legen, wenngleich es notwendig und richtig ist.

Schluss mit sexistischer Verkaufsshow

Solche Hampelmänner wird es immer wieder geben. Stattdessen kommt es darauf an, das Publikum geschmackssicherer zu machen. Bis sich schließlich irgendwann eine ganze Generation von jungen Männern bei Typen, die ihnen misogyne Allmachtsfantasien verkaufen wollen, kollektiv fragt: "Was will dieser peinliche Hampelmann von mir?!"

Dann ist Schluss mit der sexistischen Verkaufsshow. Vielleicht wird noch gebuht, aber anschließend gehen die jungen Männer und kommen auch nicht mehr wieder. Sie bezahlen nicht länger für narzissmusverbrämten Selbsthass und Frauenverachtung. Und deshalb lassen sie Frauen auch nicht mehr dafür bezahlen. Um dort hinzugelangen, gilt es, endlich eine alte feministische Forderung einzulösen: Educate your sons! (Nils Pickert, 5.9.2022)