Petra Stolba ist vom Publikumsrat – hier dessen konstituierende Sitzung im Mai 2022 – in den ORF-Stiftungsrat entsandt worden.

Foto: ORF / Thomas Ramstorfer

Wien – Der ORF-Stiftungsrat beschäftigt sich in seiner aktuellen Sitzungswoche nicht alleine mit Lücken bei der GIS, mit Teuerung und Energiekosten und damit der eigenen finanzielle Lage – wie berichtet fehlen 2022 noch rund acht Millionen und für 2023 rund 30 Millionen Euro für ein ausgeglichenes Ergebnis. Auch eines seiner 35 Mitglieder ist Thema im obersten ORF-Gremium.

Der Anlass: Die langjährige, ÖVP-nahe ORF-Stiftungsrätin und frühere Chefin der Österreich Werbung, Petra Stolba, ist seit Anfang August Kabinettschefin von Othmas Karas (ÖVP) als Erstem Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments.

Politikerklausel von ÖVP/FPÖ

Bis zum – in diesen Punkten noch gültigen – ORF-Gesetz von ÖVP und FPÖ aus dem Jahr 2001 saßen im obersten ORF-Gremium Parteigeschäftsführer, Landeshauptleute, Abgeordnete und Büroleiter von Spitzenpolitikern. ÖVP und FPÖ sprachen von "Entparteipolitisierung" und schlossen mit einer langen Liste aktive Politiker, Parteiangestellte und auch Kabinettsmitarbeiter – teils bis vier Jahre nach ihrer politischen Tätigkeit – von Mandaten im ORF-Stiftungsrat aus. Seither sitzen viele Kommunikations- und andere Berater und frühere Parteimanager in dem Gremium, Fraktionen besprechen weiter Sitzungen und Entscheidungen vor.

Die Politikerklausel des ORF-Gesetzes erwähnt "Mitarbeiter des Kabinetts eines Bundesministers oder Büros eines Staatssekretärs oder eines anderen in § 5, 6 oder 8 Abs. 1 des Bezügegesetzes genannten Organs des Bundes oder eines Landes" – nicht aber des EU-Parlaments.

"Nicht vertretbar"

Stiftungsrat Heinz Lederer (SPÖ) sieht mit Stolbas Funktion im Europäischen Parlament eine "Linie überschritten", wie er dem "Kurier" erklärt: "Das ist nach außen hin nicht vertretbar." Stolba wiederum erklärt, sie sei Angestellte des Europäischen Parlaments, das allfällige Unvereinbarkeiten auch überprüft habe, die Funktion sei rein administrativ.

Das Bundesverfassungsgesetz Rundfunk verlangt schon seit 1974 die "Unabhängigkeit der Personen und Organe" des Rundfunks.

Verfassungsgerichtshof prüft Staatsnähe des ORF

Weil der Großteil der ORF-Stiftungsräte von Regierung, Landesregierungen, Parteien und – mittelbar über den ORF-Publikumsrat – dem Bundeskanzleramt bestimmt wird, hat das Land Burgenland beim Verfassungsgerichtshof eine Prüfung der Staats- und Politikferne des ORF beantragt, der Normenkontrollantrag liegt derzeit beim Höchstgericht. Armin Wolf hatte zuvor in einem Blog auf mögliche Widersprüche zur Europäischen Menschenrechtskonvention aufmerksam gemacht.

Kritik von SPÖ und FPÖ

Kritik dran, dass Stolba Mitglied des ORF-Stiftungsrats bleiben will, übt auch SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried. "Medienministerin Raab muss sofort handeln", fordert er. Es sei "eine inakzeptable Unvereinbarkeit, dass eine Mitarbeiterin eines politischen Büros Mitglied im Aufsichtsgremium des ORF ist".

Auch FPÖ-Mediensprecher Christian Hafenecker sah einen "schlichtweg untragbaren" Umstand. "Auch wenn die EU-Ebene nicht explizit im Gesetz erfasst ist, bleibt trotzdem eine dort tätige politische Mitarbeiterin eines ÖVP-Büros eine solche und ein ORF-Stiftungsratsmandat damit unvereinbar." Raab forderte er auf, "diese Unvereinbarkeit" abzustellen. Auf APA-Anfrage gab es aus dem Medienministerium dazu keinen Kommentar. (red, APA, 13.9.2022)