Im Zuge ihrer Selbstsprengungsaktion sagte Laura Sachslehner, sie sei der Meinung, die "Werte" der ÖVP würden durch einen Kompromiss mit den Grünen verraten. Da könne sie nicht mehr mit. Das sei nicht mehr die alte, erfolgreiche Mitte-rechts-Politik.

Das ist leicht zu entschlüsseln. Sachslehner gehört zu jener, noch relativ kleinen, rechtskonservativen Truppe in der Volkspartei, die die Koalition mit den Grünen beenden und abermals eine Koalition mit der FPÖ herbeiführen will. Die Umfragen ergeben zwar derzeit keine parlamentarische Mehrheit der beiden, aber das wird schon, denkt sich Sachslehner.

Die Stärke der "alten" Volkspartei war ihre Kombination aus Marktwirtschaft und beinharter Klientelpolitik für ihre Interessengruppen.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Übrigens: welche "Werte"? Die ÖVP gehört zu den christkonservativen Parteien in Europa, die ihren Kompass verloren haben. Das Christliche spielt immer weniger Rolle, auch weil die Kirche, belastet mit eigenen schweren Problemen, immer mehr auslässt. Das stolze, freie Unternehmertum sieht etwas weniger stolz aus, wenn es wegen Corona und Russlands Gaskrieg um staatliche Überlebenshilfen bangen muss. Das Ausländerthema, das man zunächst den Rechtspopulisten erfolgreich weggenommen hat, ist in den letzten Jahren weniger wichtig geworden – und vor allem hat keine Anti-Ausländer-Rhetorik auch nur das Geringste an der tatsächlichen Problematik geändert. Das merken die Leute allmählich.

Irrglaube

Die ÖVP verlor auch durch ihren schon unter Wolfgang Schüssel begonnenen Marsch nach rechts und die Anbiederung an die FPÖ ihren "liberalen" Flügel, hauptsächlich an die Neos. Das bedeutete auch den Verlust von (wirtschaftlichen) Funktionseliten, was man besonders bei den Postenbesetzungen von Sebastian Kurz merkte. Der anscheinend unausrottbare Irrglaube, die rechtsnationalistische bis rechtsextreme FPÖ sei regierungsfähig, brachte die erste Regierung Kurz rasch zum Einsturz. Aber in der Koalition mit den Grünen zeigte sich, dass auch die Kurz-Truppe im Grunde nicht regierungsfähig ist: Sie kann nichts außer Inszenierung und egoistische Machtpolitik. Seither rudert die "alte" ÖVP gemeinsam mit den Grünen in der Russland-Krise herum.

Die Stärke der "alten" Volkspartei war ihre Kombination aus Marktwirtschaft und beinharter Klientelpolitik für ihre Interessengruppen. Sie wusste meist, wo der Hammer hängt, und sie hatte meist auch die entsprechenden Persönlichkeiten. Man konnte über Alois Mock, Erhard Busek, Wolfgang Schüssel geteilter Meinung sein, aber sie hatten ein weltanschauliches Fundament und einen gewissen Horizont. Karl Nehammer hat seither versucht, wieder etwas in die Mitte zu kommen. Aber er ist von der Krise gehetzt und verfügt über die falschen Berater, einige davon in seiner unmittelbaren Nähe. Er erkennt richtig, dass mit dem Krieg Putins in Europa nun alles anders ist. Aber er lässt sich von deutschen Medienberatern, die seine Frau angeschleppt hat, in ein sinnloses Treffen mit Wladimir Putin treiben.

Diese Orientierungslosigkeit merken die Kurz-Nostalgiker in der Partei und versuchen, die ÖVP wieder in die alte, rechtskonservative Richtung zu drängen. Das geht unter Garantie schief. Aber es geht, weil Nehammer nicht hart dagegenhält. Und weil er zu wenig Linie vorgibt. Das wäre aber nötig, nicht nur für die ÖVP, sondern auch für den Staat. (Hans Rauscher, 13.9.2022)