Seit Jahrzehnten streiten die beiden ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan um das mehrheitlich von Armeniern bewohnte Kaukasus-Gebiet Bergkarabach. Zwar hat Russland, das sich als Schutzmacht Armeniens versteht, im Herbst 2020 ein Friedensabkommen mit konkreter Grenzziehung und Sicherheitsgarantien für die Armenier in der Enklave vermittelt. Umgesetzt wurde es aus den verschiedensten Gründen allerdings nie, kleine Gefechte an der Grenze sind seither weiter an der Tagesordnung.

Das von Russland vermittelte Friedensabkommen mit Sicherheitsgarantien für Armenien wurde nie umgesetzt.
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In den letzten Tagen ist die Lage eskaliert. Bei Kämpfen im Grenzgebiet auf armenischer Seite starben über hundert Soldaten beider Länder. Die Schuld schieben sich die Regierungen in Baku und Eriwan gegenseitig zu. Das Muster ist altbekannt. Die internationale Krisendiplomatie ist angelaufen.

Warum und wie es genau zur Eskalation kam, ist schwer einzuschätzen. Der Zeitpunkt lässt aber vermuten, dass Aserbaidschan den Ukraine-Krieg als Gunst der Stunde nutzen will, um durch Bodengewinne Fakten zu schaffen und seine Verhandlungsposition zu stärken. Russland hat derzeit anderes zu tun, als Armenien militärisch beizustehen. Und es kann sich nicht leisten, seine Beziehungen zu Bakus Schutzmacht Türkei aufs Spiel zu setzen. Wladimir Putin braucht Recep Tayyip Erdoğan als Brücke und Vermittler zum Westen. Er könnte sich allein schon deshalb in der Kaukasus-Region zurückhalten.

Auch die Europäische Union hat übrigens ein dringendes Interesse daran, dass Lösungen auf diplomatischem Wege endlich greifen. Aserbaidschan gewinnt – durchaus umstritten – in der aktuellen Energiekrise nämlich gerade an Bedeutung als neuer strategischer Energiepartner für Europa. Erst am Montag wurde gemeldet, Baku werde seine Erdgasexporte nach Europa in diesem Jahr um 30 Prozent steigern. Umso wichtiger wäre Stabilität in der Region. (Manuela Honsig-Erlenburg, 15.9.2022)