Mit allem Pomp, dessen ein altes Empire mächtig ist, tragen die Britinnen und Briten ihre Queen am Montag zu Grabe. Farbenprächtige Uniformen, anrührende Musik, Bibelverse in der blumigen Sprache des 17. Jahrhunderts – Militär, Geistlichkeit und Zivilgesellschaft gestalteten in perfektem Zusammenspiel ein Jahrhundertereignis, das Großbritanniens Position als Supermacht der "soft power" zementieren sollte.

Die ehrliche Trauer einer Familie um ihre Mutter, Großmutter und Urgroßmutter verleiht dem würdevollen Protokoll eine menschliche Dimension. Natürlich mussten der neue König Charles III. und der gesamte Windsor-Clan mit dem Tod der hochbetagten Dame im Alter von weit über 90 Jahren rechnen. Und natürlich mischt sich in den Schmerz auch die Dankbarkeit für ein langes, gut gelebtes Leben. Ein Verlust bleibt der Tod der Familienmatriarchin aber doch.

Tausende Menschen verfolgen in London die letzte Prozession des königlichen Sargs.
Foto: REUTERS/MAJA SMIEJKOWSKA

Milliarden von Fernsehzuschauern in aller Welt sind keineswegs nur faszinierte Beobachter. Viele Menschen trauern ehrlich mit um Elisabeth II., die irgendwie zum Leben dazugehörte. Die Massenmedien lassen die ganze Welt Anteil nehmen am Werdegang der Queen: von der glamourösen jungen Frau zur weisen Interpretin schwieriger Zeitläufe, die vielen Menschen Halt vermittelte. Unvergessen bleibt ihre optimistische Ansprache zu Ostern im Jahr 2020, als die Corona-Pandemie die Welt in Atem hielt: "Wir werden unsere Freunde wiedersehen. Wir werden unsere Familien wiedersehen. Wir werden uns wieder treffen."

DER STANDARD

Respekt und Dankbarkeit

Die Briten mögen die Queen nicht geliebt haben, Respekt und Dankbarkeit aber empfanden die meisten. Hunderttausende wollten dies auch persönlich ausdrücken. Sie legten an den Königsschlössern Blumen nieder, standen in Schottland an der Straße, reihten sich in Edinburgh und London ein in die Schlange vor dem Sarg. In die Trauer und Dankbarkeit der zehntägigen Staatstrauer mischte sich Verunsicherung: Was kommt jetzt?

Seit Monaten ist klar, dass Großbritannien schweren Zeiten entgegengeht. Von der Energiekrise ist die Insel mindestens so hart getroffen wie vergleichbare Industrienationen auch. Hinzu kommt der Brexit-Effekt, der das Land stetig ärmer macht und essenzielle Bestandteile des Königreichs wie Schottland und Nordirland von den in London regierenden Konservativen entfremdet.

Die neue britische Premierministerin Liz Truss, die die Queen kurz vor ihrem Tod noch zur Regierungschefin ernannte, hat ein weitgehend unerfahrenes Kabinett um sich versammelt und lässt sich Politik und Personal vom ultrarechten Parteiflügel diktieren.

Im Land gärt es. Eisenbahner und Postangestellte, Lehrerinnen und Krankenpfleger bereiten Streiks vor, um gegen das stetige Absinken ihres Einkommensniveaus zu protestieren. Die einst respektierte Polizei begeht einen verheerenden Fehler nach dem anderen, nicht zuletzt bei der beschämenden Behandlung der winzigen Schar von respektvoll protestierenden Antimonarchisten.

Wie kaum jemals zuvor braucht Großbritannien jene Stabilität, welche die Queen jahrzehntelang verkörperte. Ihr Sohn König Charles III. wird schier Übermenschliches leisten müssen, um seinem Land einen ähnlichen Dienst zu erweisen. (Sebastian Borger, 19.9.2022)