Pinelopi Koujianou Goldberg, Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Yale, beschreibt in ihrem Gastkommentar, wie massiv sich die Handelsbeziehungen geändert haben.

Hat sich das globale Handelssystem als robust erwiesen? Wie hat es sich verändert?
Foto: IMAGO/Sven Simon

Nach Jahrzehnten beispielloser Offenheit sind die internationalen Wirtschaftsbeziehungen in eine neue Ära eingetreten, die von Misstrauen und Spaltung geprägt ist. In Anbetracht der möglichen Kosten dieses Wandels lohnt es sich herauszufinden, wie es dazu kommen konnte.

Nach dem Ende des Kalten Krieges führte die Globalisierung zu einem drastischen Rückgang der extremen Armut, nicht zuletzt, weil sie den ostasiatischen Ländern einschließlich China ein rasches Wachstum und eine rasche Entwicklung ermöglichte. Auch der Lebensstandard – gemessen am Pro-Kopf-Einkommen – verbesserte sich weltweit.

"In einem solchen System hat jeder einen Anreiz, sich vernünftig zu verhalten."

Offener Handel und eine marktorientierte Politik waren für diesen Fortschritt von zentraler Bedeutung. Der Handel mit (ehemaligen) Niedriglohnländern wie China, Mexiko, Südkorea und Vietnam hielt die Warenpreise und Löhne in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften unter Kontrolle, was sowohl den Verbraucherinnen und Verbrauchern in diesen Ländern als auch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den exportierenden Volkswirtschaften zugutekam.

Die wirtschaftliche Verflechtung hat wohl auch wesentlich dazu beigetragen, dass die westliche Welt lange Zeit in Frieden lebte. In der Ära der "Hyperglobalisierung" bedeutete ein Krieg die Unterbrechung weit verzweigter Lieferketten, was schwerwiegende wirtschaftliche Folgen hatte. In einem solchen System hat jeder einen Anreiz, sich vernünftig zu verhalten.

Nach innen gerichtet

Der Übergang von der Verflechtung zur Fragmentierung vollzog sich in drei verschiedenen Phasen, jede mit ihren eigenen Ursachen und Auswirkungen auf die Zukunft der Globalisierung. Die erste Phase begann 2016 mit dem Aufstieg einer nach innen gerichteten Politik in zwei ehemaligen Bastionen der Globalisierung. Das Vereinigte Königreich lehnte mit dem Brexit die Integration mit Europa ab. Und mit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten nahmen die Vereinigten Staaten ein "America first"-Ethos an, das den Weg für einen Handelskrieg mit China ebnete.

Diese Entwicklungen waren in erster Linie Reaktionen auf die zunehmende Ungleichheit. Während es den durchschnittlichen Verbraucherinnen und Verbrauchern Ende der 2010er Jahre weltweit besser ging als 1980, fühlten sich viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Industrieländern zunehmend abgehängt.

Umverteilung statt Protektionismus

Das war nicht nur ein Gefühl. Gemeinden, die der Importkonkurrenz aus Niedriglohnländern stärker ausgesetzt waren – ein Ergebnis bereits bestehender räumlicher Industrialisierungsmuster – schnitten schlechter ab als Gemeinden, die vor Importen geschützt waren. Aber auch das war nichts Neues. Es ist seit langem bekannt, dass der Handel das allgemeine Wohlbefinden verbessert, aber auch zu Verteilungsspannungen führt. Die politische Antwort, die die meisten Ökonominnen und Ökonomen empfahlen, ist ebenfalls nicht neu: Anstatt Protektionismus zu betreiben, sollten die Länder eine Form der Umverteilung anstreben. Jedenfalls gab es wenig Grund zu der Annahme, dass die 2016 einsetzende Gegenreaktion den Untergang der Globalisierung bedeuten würde. Die Welt war zu vernetzt, um zum alten System zurückzukehren.

"Das reibungslose Funktionieren globaler Lieferketten erfordert Frieden, Stabilität und Vorhersehbarkeit. Der Krieg hat das Vertrauen zwischen den Ländern untergraben und die Erwartungen an geopolitische Allianzen verändert."

Dann kam Phase zwei: die Covid-19-Pandemie. Eine Pandemie ist eines der größten Risiken, die die Globalisierung mit sich bringt. Je mehr Länder miteinander vernetzt sind, desto leichter können sich Krankheiten unter ihnen ausbreiten. Gleichzeitig kann sie zu einer "Jedes Land für sich"-Mentalität führen, wie die Exportbeschränkungen und andere nach innen gerichtete Maßnahmen zeigen, die die Regierungen als Reaktion auf die Krise eingeführt haben. Engpässe bei lebenswichtigen Gütern wie persönlicher Schutzausrüstung und Versorgungsengpässe lieferten weitere Argumente dafür, dass man den globalen Lieferketten nicht trauen könne. Viele kamen zu dem Schluss, dass die durch den internationalen Handel geschaffenen "Abhängigkeiten" eine Quelle der Verwundbarkeit sind. Der Aufbau von "Resilienz" durch kürzere, lokal begrenzte Lieferketten wurde zum Gebot der Stunde.

Dennoch hat sich das globale Handelssystem in den vergangenen zwei Jahren als bemerkenswert robust erwiesen. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds ist der Welthandel, gemessen am Verhältnis der Wareneinfuhren zum weltweiten BIP, seit 2019 gestiegen. Die meisten Engpässe erwiesen sich als kurzlebig. Mehrere andere Engpässe in der Versorgungskette – wie der jüngste Mangel an Babynahrung in den USA – hatten keine globalen, sondern inländische Ursachen. Tatsächlich wären die Engpässe ohne den internationalen Handel vermutlich noch viel schlimmer ausgefallen.

Beispielloser Schock

Trotz eines beispiellosen Schocks für die öffentliche Gesundheit lief die Weltwirtschaft weiter – verwundet und viel langsamer als zuvor, aber immer noch mit guten Aussichten auf eine baldige Erholung. Dann marschierte Russland in die Ukraine ein, und Phase drei begann. Das reibungslose Funktionieren globaler Lieferketten erfordert Frieden, Stabilität und Vorhersehbarkeit. Der Krieg hat das Vertrauen zwischen den Ländern untergraben und die Erwartungen an geopolitische Allianzen verändert, was zu Rufen nach "Reshoring" oder "Friendshoring" im Namen der "wirtschaftlichen Sicherheit" geführt hat. Angenommen, China würde in Taiwan einmarschieren: Welche Auswirkungen hätte dies auf eine Weltwirtschaft, die von Chips abhängt, die von einem einzigen Unternehmen, TSMC, auf der Insel produziert werden?

Der Krieg in der Ukraine hat also erreicht, was die zunehmende Ungleichheit im Land und die Covid-19-Pandemie nicht geschafft haben. Es ist eine Sache, sich auf seine Freunde zu verlassen, selbst wenn dies für einige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem heimischen Markt Härten mit sich bringt; etwas ganz anderes ist es, sich auf seine Feinde zu verlassen. Und so stößt das wirtschaftliche "Gleichgewicht des Schreckens", das die Deglobalisierung verhindern sollte, offenbar an ihre Grenzen. Jetzt versuchen die Länder, ihre Widerstandsfähigkeit zu stärken, indem sie sich nach innen wenden und industriepolitische Maßnahmen für Sektoren ergreifen, die als entscheidend für die nationale Sicherheit angesehen werden, wie etwa Halbleiter und Energie. Ob dieser Ansatz erfolgreich sein wird, ist jedoch alles andere als sicher.

Die Zeit drängt

China wird oft nachgesagt (oder vorgeworfen), sich auf die Industriepolitik zu verlassen, um das Wachstum zu fördern. Aber es war auch für einen der größten Misserfolge der Industriepolitik verantwortlich: den großen Sprung nach vorn, der bis zu seinem Ende 1962 bis zu 55 Millionen Tote forderte. Bei den Maßnahmen, die erfolgreich waren, war eine sorgfältige, schrittweise Umsetzung entscheidend. Reformen wurden zunächst auf lokaler und regionaler Ebene getestet und erst dann ausgeweitet, wenn sie ihr Potenzial unter Beweis gestellt hatten. Aber "den Fluss zu überqueren, indem man die Steine ertastet", wie Deng Xiaoping es ausdrückte, braucht Zeit, und die Zeit ist im Moment nicht auf der Seite der westlichen Volkswirtschaften.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich Halbleiter durch "massive Modularität" auszeichnen, das heißt, jede produzierte Einheit besteht aus mehreren miteinander verbundenen Funktionsmodulen, die in speziellere Module mit jeweils eigenen Standards, Innovationspotenzialen und Marktstrukturen zerlegt werden können. Es ist fraglich, ob solche Prozesse innerhalb kurzer Zeit im Inland repliziert werden können. Wir sollten uns daran erinnern, dass zentralistisch geplante Systeme gescheitert sind, weil sie mit der zunehmenden Komplexität moderner Wirtschaftssysteme nicht Schritt halten konnten.

Es scheint, als hätten wir den Rubikon in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen überschritten und die Globalisierung hinter uns gelassen. Die Herausforderung wird nun darin bestehen, uns zu orientieren, wenn die Folgen spürbar werden. (Pinelopi Koujianou Goldberg, Übersetzung: Andreas Hubig, Project Syndicate, 23.9.2022)